Körper-Haft (German Edition)
der Gerichtsverhandlung hatte ich mich oft schon alleine durch die vorwurfsvollen Blicke von Ronald und Nancy so schuldig gefühlt, als hätte ich den Mord tatsächlich begangen!
Ich konnte nicht am Tod von Mosquito schuldig sein. Schließlich lag ich ja seit Jahren an ein Bett gefesselt und konnte mich nicht rühren. Aber Schuldgefühle waren vermutlich eines der ausdauerndsten Phänomene der menschlichen Psyche!
Vielleicht hatte ich ja doch etwas damit zu tun? War nicht ich es gewesen, der sich vorgestellt hatte, wie alle Mosquitos tot um uns herum niedersanken? Alle Mosquitos? Inklusive des größten Plagegeistes, den ich je kennengelernt hatte?!
Die Sirene eines, dann mehrerer Polizeiwagen drang durch die geschlossenen Fenster von draußen zu uns herein. Sie kamen immer näher und verklangen plötzlich, als sei die Batterie dafür ausgegangen. Kurz darauf hörte ich energische Schritte und ein Stimmgewirr auf uns zukommen.
Ich schaltete mein Holo-Flat-Pad auf Eigenbetrachtung und zoomte soweit heraus, dass ich das Zimmer überblicken konnte. Am Fußende meines Bettes lag Mosquito auf seinem Rücken. Der Imkerhut lag zusammengefallen circa zwei Meter links neben ihm. Seine Gliedmaßen waren seltsam verdreht.
Während die Oberschenkel die Linie des Oberkörpers fortführten, winkelten sich seine Unterschenkel parallel nach hinten ab. Seine Haltung sah fast so aus, als wäre er freudig in die Luft gesprungen und hätte dabei die Unterschenkel angezogen. Seine Arme waren seitlich in voller Länge von ihm weggestreckt, aber zum Körper hin leicht gebeugt, so als wolle er den Luftsprung abbremsen. Die Schultern lagen beide am Boden auf und die Hüfte war seitlich verdreht. Das Eigenartigste für mich war aber nicht seine Haltung, sondern seine Mimik.
Er hatte die Augen immer noch hinter seiner stark vergrößernden Nickelbrille geöffnet und schien in eine unbekannte, bessere Welt zu schauen. Dabei wurde sein Mund von einem eigenartigen, wissenden Lächeln umspielt. Er sah geradezu glücklich aus! Als wäre es der schönste Tag in seinem Leben. Ich wusste nicht, ob ich mich für ihn freuen sollte oder ob ich mich für mich freuen sollte? Oder sollte etwa beides Anlass zur Freude sein?
Mein Quälgeist war tot und er schien für sich am Schluss noch seinen eigenen Frieden gefunden zu haben. Er hatte mich im wahrsten Sinne des Wortes bis aufs Blut gequält und dennoch hatte ich es ihm zu verdanken, dass ich meinen Überlebenswillen wiedergefunden hatte. Der immer stärker werdende Wille weiterzumachen, gerade wenn es noch so aussichtslos aussah. Und jetzt war er tot und strahlte seinem eigenen Geist hinterher, der die Pforte des Todes durchschritten hatte. Was für ein theatralisches Gelaber! Gleich würde ich noch anfangen, einen Nachruf auf ihn zu verfassen.
Glücklicherweise lenkten mich die fünf Herren ab, die von den Polizeisirenen hergetragen worden waren. »Können wir die Betten rausschieben?«, fragte einer von Ihnen. »Nein auf keinen Fall, wir müssen vorher noch die Spuren sichern«, antwortete ein Typ, der eine Kamera um den Hals hängen hatte. Er hatte sich bereits Folienschuhe und Gummihandschuhe übergestreift und fing umgehend an zu fotografieren. Dabei tänzelte er geschickt zwischen den Häufchen aus toten Mosquitos umher.
Vorsichtig bewegte er sich wie bei beim Kinderspiel Himmel und Hölle durch den Raum, immer darauf bedacht, keine dunklen Stellen auf dem Boden zu berühren. Ein anderer schaufelte mit einem Holzspatel die toten Mosquitos in einen Plastiksack. Und auch der Plastikeimer, der als vorübergehende Behausung der Mosquitos gedient hatte, wurde fotografiert, sorgsam verpackt und beschriftet.
Das alles dauerte furchtbar lange, und die anderen drei Herren hatten sich mit Doktor Gregor und Daniel zurückbezogen. Vermutlich wurden sie bereits befragt, was sie gesehen hatten. Am Ende wurden die Fliegen, die direkt um Mosquito herumlagen, mit einem Spezialsauger eingesaugt, verpackt und beschriftet. Jetzt lag Mosquito ohne seine kleinen Freunde da. Dafür wurde ein Kreidestrich um ihn herum gezogen. So wie es die Alchemisten des Mittelalters gemacht hatten, um den Teufel mit einem Bannkreis auszugrenzen …
Die anderen drei, inklusive Doktor Gregor und Brötchen kamen mit einer Bahre und einem großen schwarzen Plastiksack wieder zur Tür herein. »Wie weit seid ihr?«, fragte der Mann, den ich für den Kommissar hielt.
»Wir sind gleich fertig und können ihn auf die Bahre legen.
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