Körper-Haft (German Edition)
nicht, dass er gekündigt wurde. Beim nächsten Besuch überreichte er mir stammelnd eine Pralinenpackung und bedankte sich bei mir. Er sagte mir, er hätte sich mit den Unterlagen wo anders beworben und würde nicht wieder kommen. Er verabschiedete sich unsicher, aber dankbar.
Also, der war´s bestimmt nicht! Aber prinzipiell hatte wirklich jeder die Möglichkeit in die Agentur zu kommen, wenn er wollte und frech genug war.
Mir wurde bewusst, dass ich soeben die gesamte Weltbevölkerung in den Kreis der Verdächtigen aufgenommen hatte. Das war alles andere als zielführend – ich musste wirklich anders herangehen.
Wer also hatte ein Motiv? Da war zunächst einmal ich! Alle Welt glaubte, dass ich es war und ich zu Recht für das Verbrechen aus Habgier verurteilt worden war. Sogar Tanja teilte diese Meinung! Vermutlich war ich wirklich der Einzige, der diese Ansicht nicht teilte.
Der uralte Geisterfahrerwitz kam mir plötzlich in den Kopf, bei dem ein Autofahrer die Radiomeldung hört: »Es kommt Ihnen ein Geisterfahrer entgegen.« Der Autofahrer schreit erstaunt auf: »Was, einer? Ha! Tausende!«
Wer war hier der Geisterfahrer? Ich – oder all die anderen? Manchmal wusste ich wirklich nicht, was wahr oder falsch war. All die Kreuzverhöre und Beschuldigungen, unter deren Beschuss ich während der Verhandlung stand, hatten mich an meiner eigenen Wahrheit manchmal zweifeln lassen. Wie viele Wahrheiten gab es überhaupt, konnten vielleicht mehrere parallel existieren?
Darüber hinaus wusste ich auch nicht, was das Serum von Professor Marquez mit meinem Gehirn angestellt hatte. In der letzten Zeit passierten die eigenartigsten Dinge, wenn ich meditierte …
Aber falls ich Sunny tatsächlich umgebracht hatte und ich etwas völlig anderes glaubte, dann wäre ich … ja, dann wäre ich verrückt! Ein innerliches Lachen stieg in mir auf, ein Lachen, das sogar in meinem eigenen Kopf irre klang.
»Ha, ha, wenn ich verrückt bin, dann bin ich ja völlig falsch hier! Ha-ha, wenn ich verrückt bin, dann gehöre ich gar nicht ins Gefängnis! Ha-ha, wenn ich verrückt bin, dann gehöre ich in die Klapse!«
Mit Meditieren hatte das Ganze nicht mehr viel zu tun, aber solange ich noch über mich und meine Situation lachen konnte, war noch nicht alles verloren.
Aber wenn ich an den Geisterfahrerwitz dachte, wurde mir eines klar: »Allein gegen alle!« Ich glaubte immer noch an meine Version und tröstete mich mit dem Gedanken »Millionen Fliegen können sich nicht irren …«
Ich versuchte mich wieder zu konzentrieren. Also, wer außer mir hatte noch ein Motiv? Gab es irgendeine verschmähte Liebe, die Sunny nach dem Leben trachtete? Sunny war bestimmt kein Kind von Traurigkeit gewesen und somit gab es wahrscheinlich relativ wenig Verschmähte … Nicht, dass er es nicht ernst gemeint hätte. Er war immer auf der Suche nach der Richtigen. Aber vielleicht hatte er vor lauter Ausschau nach der Richtigen, die vermeintlich Richtige übersehen oder verschmäht? Oder hatte ich bei meiner Suche etwas übersehen? Bestand vielleicht auch die Möglichkeit, völlig naheliegende Dinge zu übersehen, weil sie einfach zu nah im Fokusbereich lagen? Ganz nach dem Sprichwort Ich sehe den Wald vor lauter Bäumen nicht …
Die schwarzen Schuhe
Ich hatte beschlossen, mich etwas auszuruhen, um dann mit der Meditation weiterzumachen. Allerdings wollte ich mich dem Thema etwas anders nähern als bisher. Mein Ziel war es, durch Meditation an den Tatort zurückzukehren und die gesamte Situation sozusagen als Standbild anzuschauen.
Es war ein langer Tag und ich war froh, mich mit etwas Ruhe noch auf mein Vorhaben vorbereiten zu können. Als ich mich dazu bereit fühlte, holte ich tief Atem und versuchte der eingeatmeten Luft gedanklich durch meinen Körper zu folgen. Das heißt, ich fühlte ganz bewusst, wie die frische Luft durch meine Nase eindrang, durch meinen Hals und meine Bronchien strömte.
Mein Brustkorb hob sich leicht und ich spürte, wie sich die Luft in meinen Lungen verteilte. Von dort folgte ich gedanklich den Sauerstoffmolekülen, die sich an die Blutkörperchen hefteten und mit ihnen als Trittbrettfahrer bis in die verzweigtesten Kapillaren meines Körpers surften. Ich atmete ruhig aus und ging mit jedem weiteren Atemzug in eine ruhige Bauchatmung über.
Wenn ich jetzt so daran zurückdachte, dann war das etwas, worüber ich noch vor gar nicht allzu langer Zeit den Kopf geschüttelt hatte. All diese selbst ernannten Yogis und
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