Kohärenz 01 - Black*Out
den anderen ist, weiß er nicht.«
Melanie blinzelte, als habe sie Mühe, wach zu werden. »Dann solltet ihr aber besser nicht Klartext reden am Telefon, oder? Wozu haben wir die Codeliste?«
»Shit!«, hörte sie Christopher noch, dann war die Verbindung tot.
Melanie musterte sie aufmerksam, die Hand ausgestreckt. »Also, was ist? Kann ich ihn auch mal sprechen?«
»Er hat aufgelegt«, sagte Serenity und reichte ihr den Hörer. »Glaube ich zumindest. Ich hab versucht, ihn an die Codeliste zu erinnern, aber er war so durcheinander …«
Melanie lauschte dem Tonsignal einen Moment, dann hängte sie ein. »Sieht so aus.«
»Und jetzt?«
»Was hat er denn genau gesagt?«
Serenity gab alles so präzise wie möglich wieder, nur das mit Christophers Angst, sein Vater könnte auftauchen, ließ sie weg. »Meinst du im Ernst, die Kohärenz hat das jetzt abgehört?«
Melanie fuhr sich mit gespreizten Händen durch ihre Haare. »Die Kohärenz vielleicht nicht, aber das FBI.«
»Das FBI?« Serenity betrachtete den Telefonapparat an der Wand. »Und warum sollten die ausgerechnet diesen Anschluss anzapfen?«
»Weil Patricia die Tochter von Neal Lundkvist ist. Und Neal Lundkvist mit deinem Vater schon länger befreundet ist, als du auf der Welt bist.« Melanie verschränkte die Arme, fröstelte offensichtlich in ihrem dünnen Nachthemd. »Das FBI weiß solche Sachen. Und sie suchen deinen Vater immer noch mit Hochdruck, vergiss das nicht.«
Serenity schluckte. »Heißt das, wir müssen das Haus hier aufgeben?«
»Gut möglich.«
»Aber dann können Dad und die anderen uns nicht mehr erreichen!«
Melanie überlegte, die gefalteten Hände vor dem Mund. »Okay«, sagte sie schließlich. »Wir warten noch ab. Wenn wir bis morgen früh nichts gehört haben, müssen wir eine Entscheidung treffen.«
74 | Christopher verließ die Telefonzelle, stolperte mehr, als er ging. Er zitterte. Was jetzt? Wo waren die anderen? Waren sie entkommen? Oder war alles gescheitert?
Da stand er nun, allein an einer Telefonzelle an der Ecke eines Supermarktes, der so groß war wie ein Fußballstadion. Nebenan verbreitete ein Müllcontainer ekelerregenden Gestank. Vor ihm lag ein Parkplatz, auf dem ein Sportflugzeug hätte landen können, wenn er leer gewesen wäre. Was er nicht war, denn der Supermarkt hatte bis 23 Uhr geöffnet, und eine Menge Leute schienen es sinnvoll zu finden, kurz vor Mitternacht einkaufen zu gehen.
Seine Knie fühlten sich weich an. Er hätte sich gern irgendwohin gesetzt, aber es gab nirgendwo eine Sitzgelegenheit. Zu keinem Zeitpunkt seit seiner Flucht aus London hatte er sich dermaßen verloren gefühlt wie jetzt. Sein toller Plan war völliger Quatsch, lachhaft. Er hatte es versiebt.
Während er sich auf den Weg machte, den gigantischen Parkplatz zu überqueren, wurde die Sehnsucht schier übermächtig, einfach aufzugeben, sich wieder einzuklinken in das Feld, aus dem er geflohen war. Sich zu verbinden mit der gewaltigen geistigen Macht der Kohärenz. Wieder alles zu wissen, alles zu sehen …
Er spürte das Feld. Natürlich spürte er es. Es war hier, wie es beinahe überall auf Erden war. Und es war eine Verlockung. Komm, sagte es, komm einfach. Tu den Schritt. Komm, und alle Probleme sind gelöst. Komm … komm … komm …
Er blieb stehen, holte mühsam Luft. Ein Ring aus Stahl schien sich um seinen Brustkorb schließen zu wollen.
Angst. Ganz einfach.
Bloß half es nichts, das zu wissen. Er war allein, und er war schwach, und er folgte einem lächerlichen, kindischen Plan. Es war nur logisch, Angst zu haben.
Das Einzige, was er dagegensetzen konnte, war eine Erinnerung. Eine Erinnerung, von der er noch niemandem erzählt hatte, an die er sich mit aller Kraft klammerte. Eine Erinnerung, die er auch Jeremiah Jones und seinen Leuten vorenthalten hatte, weil sie ein kostbarer Schatz war, sein kostbarster Besitz überhaupt.
Und weil er fürchtete, diesen Schatz zu verlieren, wenn er ihn mit jemandem teilte. Weil er fürchtete, diese Erinnerung könnte ihre magische Kraft einbüßen, wenn er jemandem davon erzählte.
Eine Sekunde nur, die ihm immer noch vor Augen stand …
Eine winzige, unmerkliche Geste, an die zu denken, ihm Kraft gab weiterzumachen …
Der Ring aus Stahl um seine Brust löste sich. Er bekam wieder Luft, konnte weitergehen. Vielleicht würde sein Plan scheitern, ja. Möglich war es. Pläne hatten das so an sich.
Aber man konnte es nicht wissen. Noch nicht. Und egal, wie es
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