Kohärenz 01 - Black*Out
Lächeln erschien auf seinem Gesicht, ein Lächeln, wie es Christopher an seinem Vater nie gesehen hatte. Das war, erkannte er mit jäher Gewissheit, nicht Dads Lächeln, sondern das der Kohärenz selbst.
»Wir haben«, erklärte die Kohärenz mit der Stimme seines Vaters, »diese Fabrik noch am Tag deines Fortgangs geschlossen und damit begonnen, die Maschinen abzutransportieren. Die Implantate werden inzwischen an vielen Stellen hergestellt, überall auf der Welt. Ihr hattet von Anfang an keine Chance.«
»Ich weiß«, sagte Christopher.
Dann schloss er die Augen und aktivierte seinen Chip.
82 | Diesmal versuchte er erst gar nicht, im Schutz seiner Barriere zu bleiben. Diesmal raste er los wie ein Pfeil, der endlich von der Sehne seines Bogens schnellen darf, eines Bogens, der viel zu lange bis an die Grenze seiner Belastbarkeit gespannt gewesen war.
Die Kohärenz reagierte innerhalb von Mikrosekunden, praktisch sofort. Das gesamte Feld verformte sich, wölbte sich ihm entgegen, stürzte sich auf ihn.
Doch Computer Kid war schneller.
Er schoss durch wirbelnde Orkane aus Information, durchbrach glühende Gitter aus Gedanken, entging schmetternden Blitzen aus Absichten. Fallen entstanden in seinem Weg, Mauern bauten sich vor ihm auf, Fangschlingen schnappten nach ihm – doch er umging die Fallen, übersprang alle Mauern, entwischte allen Schlingen.
Sein Geist durchraste das Internet, verschwand in dessen Tiefen, stieß in entlegene Bereiche vor, an Stellen, die man mit keinem Browser erreichen oder auch nur hätte finden können. Sein Ziel waren schlichte Schaltanlagen, die man zu Wartungs- und Kontrollzwecken ans Internet angeschlossen hatte.
Sein Ziel war nicht das Computernetz, sondern das Stromnetz.
Die Leute, die in diesen Schaltschränken einst Schnittstellen installiert hatten, um sie über das Internet von weit entfernten Zentralen aus zu steuern, waren davon ausgegangen, dass niemand sie finden würde. Schließlich gab es Hunderte von Millionen Internetadressen, von denen die meisten weitaus interessanter waren. Und für den Fall, dass jemand durch Zufall doch auf einen ihrer Wartungszugänge stoßen sollte, hatten sie ein Passwort vorgesehen, das, so glaubten sie, genügend Schutz bot.
Sie hatten sich geirrt.
Es hatte Christopher keine halbe Stunde gekostet, mithilfe eines speziellen Suchprogramms die Internetadressen sämtlicher derartiger Anlagen in Kalifornien zu ermitteln. Das Passwort war erst recht kein Problem gewesen, zumal man überall dasselbe eingestellt hatte.
Keine halbe Sekunde, nachdem er ins Feld eingetaucht war, schaltete sich das erste Kraftwerk ab. Es handelte sich um das Moss-Landing- Gaskraftwerk von Monterey, mit dem schlagartig über zweitausend Megawatt Leistung im Netzverbund fehlten.
Einen Lidschlag später ging das Atomkraftwerk Diablo Canyon von San Luis Obispo vom Netz. Damit fehlten weitere zweitausend Megawatt.
Stromausfälle hatte Kalifornien in letzter Zeit öfters erlebt. Doch dieser Stromausfall würde größer werden. Dies würde einer jener Blackouts werden, die in die Geschichte eingehen.
Energie ist eine heikle Sache. Energie, die gebraucht wird, muss im selben Moment irgendwo erzeugt werden. Wird mehr Energie angefordert, als im Netz ist, sinkt dessen Spannung, und sinkt die Spannung unter einen bestimmten Wert, funktionieren viele Geräte nicht mehr richtig.
Ein computergesteuertes Überwachungssystem, das diese Ausfälle registrierte, forderte deswegen automatisch sofort zusätzliche Leistung aus den Netzen der benachbarten Bundesstaaten an – und gab Alarm.
Doch dieser Alarm kam nicht in der zuständigen Zentrale an. Denn in dem Moment, in dem er ausgelöst wurde, schaltete Christopher das nachgelagerte System ab.
So merkte die Nachtschicht erst einmal nichts. Der Ausfall machte sich lediglich in Form zweier erloschener Lichtpunkte auf einem Bildschirm bemerkbar, der das gesamte Stromnetz der westlichen Bundesstaaten zeigte, blieb also denkbar unauffällig. Die Operateure an den Überwachungspulten nippten ihren Kaffee und freuten sich über eine ruhige Nacht.
Weiter geschah in diesem Moment nichts, denn die Automatik hatte ja zusätzlichen Strom angefordert.
Einen Herzschlag später löste Christopher einen Überstrom-Schutzschalter aus, der eine 345-kV-Überlandleitung außer Betrieb setzte.
Energie ist, wie gesagt, eine heikle Sache. Wird Energie erzeugt, muss sie auch irgendwohin fließen. Da nun eine der wichtigsten Fernleitungen
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