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Kohärenz 02 - Hide*Out

Kohärenz 02 - Hide*Out

Titel: Kohärenz 02 - Hide*Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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weißt doch genau, dass ich am Ende gewinnen werde. Früher oder später wirst du zurückkehren, Christopher. Es ist unausweichlich.«
    Das Gesicht des Mannes zitterte. Der Körper bäumte sich auf. Einzig die Augen blieben unverwandt auf Christopher gerichtet, der mit der einen Hand gegen den Armstumpf drückte und mit der anderen an dem Gürtel zog wie ein Verrückter.
    »Und wenn du zurückkommst, Christopher«, flüsterte die Stimme des Mannes, »dann wirst du deine Freunde wiedertreffen, die jetzt gerade nach Seattle unterwegs sind…«
    Dann brach der Blick. Christopher konnte spüren, wie ihm der Körper entglitt, wie all seine Wut und seine Entschlossenheit versagten. Der Leib des Mannes wurde schlaff und hörte auf zu atmen, und als Christopher der Gürtel aus der Hand fiel und sich der Druck um den Armstumpf löste, kam nur noch ein dünnes Rinnsal an Blut.
    Christopher saß da wie gelähmt. Er spürte den überwältigenden Wunsch, jetzt bitte aufzuwachen und festzustellen, dass alles nur ein Albtraum gewesen war.
    Da das nicht geschah, beugte er sich vor und löste den Gürtel vom Armstumpf, zog ihn heraus, betrachtete ihn.
    Er war über und über mit Blut verschmiert. Dem Blut eines Menschen, dem Blut eines Unschuldigen, der zum bloßen Instrument der Kohärenz geworden war.
    Christopher schaute an sich herab. Er sah aus, als hätte er ein Massaker verübt. Und ihm war, als höre er die Stimme der Kohärenz immer noch, als habe sie ihm eine Endlosschleife ins Gehörzentrum gepflanzt.
    Wenn du zurückkommst, dann wirst du deine Freunde wiedertreffen, die gerade nach Seattle unterwegs sind.

78 | Christopher wusste nicht, wie lange er dort reglos bei dem Toten gehockt hatte. Eine Bewegung ließ ihn aufsehen. George stand vor ihm, mit unnatürlich geweiteten Augen. Sein Gesicht war aschfarben. Er hob die Hand, die einen Pfeil hielt.
    »Da«, sagte er. »Das hat es ausgelöst. Als er sich weggedreht hat, hab ich den Einschaltknopf genau in der Mitte getroffen. Volle Punktzahl.« Die Hand sank herab. Er zitterte auf einmal am ganzen Leib. »Scheiße, Mann. Ich hab die umgebracht. Ich hab zwei Menschen umgebracht!«
    Er stand dicht davor, in Tränen auszubrechen. George, der sonst kaum je die Miene verzog, egal was geschah.
    »Du hast sie nicht umgebracht«, widersprach Christopher mit einer Entschiedenheit, die ihn selber überraschte, die geradezu wütend aus ihm herausbrach. »Das war absolut nicht deine Schuld. Sie haben uns verfolgt. Sie haben auf uns geschossen. Wir haben uns nur verteidigt. Und dass du den Hauptschalter getroffen hast, war ein unglücklicher Zufall.«
    Er blickte widerwillig über die Transportanlage. Sie war ein Durcheinander aus ineinander verkeilten Baumstämmen, Blut, Fetzen eines menschlichen Körpers und Sägemehl. »Außerdem hätte jeder normale Mensch den Baumstämmen ausweichen können, als sie von der Rampe gerollt sind. Jeder normale Mensch wäre einfach vom Band gesprungen und das wär’s gewesen. Aber die beiden waren keine normalen Menschen. Sie waren Upgrader und über das Satellitennetz an die Kohärenz angebunden. Sie konnten nicht schnell genug reagieren. Die Kohärenz hat sie hergeschickt, obwohl ihr klar gewesen sein muss, dass sie hier nur wie Schildkröten herumtapsen konnten. Wenn jemand schuld an ihrem Tod ist, dann ist es die Kohärenz.«
    George stierte ins Leere. Es war nicht zu erkennen, ob das, was Christopher gesagt hatte, bei ihm angekommen war. »Er hat gedacht, er geht in den Geist der Kohärenz ein, nicht wahr?«, fragte er schließlich leise. »So, wie manche Indianer glauben, dass sie in den Großen Geist eingehen, wenn sie sterben. In Manitu.« Er richtete seinen Blick mit sichtlicher Mühe auf den toten Mann zu ihren Füßen. »Bloß dass der Geist der Kohärenz etwas Technisches ist.«
    Christopher betrachtete den toten Mann vor ihm. Jetzt, da das Leben aus ihm gewichen war, wirkte der Körper wie ein abgelegtes Kleidungsstück, wie etwas, das übrig geblieben war. »Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist sein Geist schon vor seinem Tod in der Kohärenz aufgegangen. Als er den Chip bekommen hat.«
    Er beugte sich noch einmal hinab und nahm den Tornister genauer in Augenschein, den der Mann getragen hatte. Eine Antenne ragte heraus. Oberhalb des Kastens, der das Satellitentelefon sein musste, war ein weiterer Apparat befestigt, der handgefertigt aussah: ein grauer Plastikkasten, wie man ihn in Versandhäusern für Elektronikbastler kaufen konnte.

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