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Kohärenz 02 - Hide*Out

Kohärenz 02 - Hide*Out

Titel: Kohärenz 02 - Hide*Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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ein Würgen unterdrücken. »George!«, schrie er, so laut er konnte. »Wie stellt man das verdammte Ding ab?«
    George tauchte von irgendwoher auf. »Was?«
    »Abstellen! Es muss doch einen Notschalter oder so was geben!« Im selben Moment fiel Christopher der pausbäckige Mann wieder ein, der sich gestern beim Abendessen über fehlende Sicherheitsinstallationen beklagt hatte.
    Hatte er das hier gemeint?
    Jetzt hatte George endlich auch entdeckt, was vor sich ging. Mit einem Aufschrei raste er los, setzte über herabgestürzte Stämme hinweg und über herumstehende Handwagen, verschwand im tobenden Tumult der Halle.
    Doch er war nicht schnell genug. Schon fraßen sich die Sägeblätter krachend in die Unmengen von Holz, die das Förderband ihnen heranbrachte, und im nächsten Augenblick drang ein Schrei durch das metallene Singen, ein lang gezogener Schmerzensschrei wie der eines gequälten Tieres, kaum laut genug, um den infernalischen Lärm der Anlage zu übertönen.
    Dann hatte George den verdammten Schalter endlich erreicht.
    Alles kam krachend zum Stillstand. Eine ohrenbetäubende, knisternde Stille legte sich über die Szenerie. Alles, was sich noch bewegte, waren die Wolken aus Sägemehl, die sich schimmernd herabsenkten, und alles, was man noch hörte, war dieses gequälte Stöhnen.
    Christopher rannte so schnell wie noch nie. Er hastete die Bandstraße entlang, war nicht mehr imstande, irgendetwas zu denken. Was ihn antrieb, war blankes Entsetzen.
    Da, die Zerspanungsmaschine. Blutiger Matsch hing in ihren Zahnwalzen und der Rucksack mit dem Satellitentelefon hatte sich darin verkeilt. Man sah auch noch einige Körperteile, aber Christopher konnte sich nicht überwinden, genauer hinzuschauen.
    Der Mann lag direkt vor der Brettersäge, zwischen dicken Stämmen eingekeilt. Die Sägeblätter hatten ihm den rechten Arm in der Mitte des Oberarms abgetrennt. Er war bewusstlos. Blut quoll in pulsierenden Stößen aus dem Armstumpf, vom Herzschlag getrieben. Auf der anderen Seite der Maschine sah man Unmassen rot verfärbter Bretter liegen.
    Christopher kletterte über die Stämme hinweg, suchte nach einer Position, aus der heraus er irgendetwas tun konnte, aber was? Alles, was ihn auf diese Situation vorbereitet hatte, war ein Erste-Hilfe-Kurs, den sie einmal in der Schule absolviert hatten, ganze fünf Stunden lang. Der Kurs war ziemlich theoretisch geblieben; praktisch geübt hatten sie nur die Mund-zu-Mund-Beatmung an einer Puppe.
    Und Mund-zu-Mund-Beatmung war nicht das, was dieser Mann jetzt brauchte.
    Man musste ihm vor allem diesen Arm abbinden. Christopher erinnerte sich an entsprechende Schaubilder, auf denen weiße Strichmännchen ein graues Strichmännchen verarztet hatten. Er nestelte seinen Gürtel aus der Hose, beugte sich hinab und versuchte, den Lederriemen um den verbliebenen Rest des Arms zu legen, der kalt war und glitschig von Blut.
    George tauchte auf, leise vor sich hin fluchend. Christopher verstand nicht, was er sagte; er sprach Blackfeet, aber der Tonfall war unmissverständlich.
    Endlich bekam Christopher das Gürtelende zu fassen. Wobei ihm in demselben Moment klar wurde, dass das Abbinden mit dem Gürtel, wenn überhaupt, nur so lange funktionieren würde, wie er Druck darauf ausübte. Sie würden aber mindestens zu zweit sein müssen, um den Baumstamm anzuheben, unter dem der Mann begraben lag.
    »George!«, rief er. »Wir brauchen irgendwas, um den Arm fest abzubinden. Ein Stück Seil oder so etwas.«
    In diesem Moment schlug der Mann die Augen auf und sagte: »Christopher!«
    Es war der gruseligste Augenblick, den Christopher je erlebt hatte. Er kannte den Mann nicht, der um die vierzig sein mochte, schüttere Haare und eine Knollennase hatte. Er hatte auch dessen Stimme noch nie gehört.
    Und trotzdem erkannte er wieder, wer da zu ihm sprach.
    »Sie verbluten«, stieß er hervor und fragte sich, wieso seine Hände auf einmal bebten.
    »Ja«, sagte der Mann, sagte die Kohärenz. »Das stimmt. Nicht wirklich dramatisch. Es sind ja nur Körper.« Es klang wie Ach, es war nur eine billige Vase aus dem Supermarkt.
    Eine blinde Wut, von der Christopher nicht wusste, woher sie plötzlich kam, ließ ihn das Gürtelende in die Schnalle einfädeln und dann mit aller Kraft ziehen, geradezu brutal. Auf einmal war er wild entschlossen, nicht aufzugeben, diesen Mann – diesen Körper! – nicht einfach sterben zu lassen.
    »Wieso kämpfst du so, Christopher?«, sagte die Stimme des Mannes. »Du

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