Kohl des Zorns
Jim nun auf der Bank, hin- und hergerissen zwischen Augenblicken höchsten Glücks und anderen voller brütendem Staunen, obwohl an dieser Stelle fairerweise festgestellt werden muß, daß die Augenblicke höchsten Glücks im Begriff standen, in diesem ungleichen Widerstreit die Oberhand zu gewinnen.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Pooley ein heruntergekommenes Individuum, das sich seiner Bank näherte. Normalerweise hätte er einem Fremden keinen zweiten Blick geschenkt, doch die Art und Weise, wie dieser Fremde sich bewegte, hatte etwas Heimliches, Verdächtiges an sich, das Jim augenblicklich alarmierte und auf dem Armaturenbrett in seinem Kopf eine rote Leuchte zu hektischem Blinken brachte.
Im Licht zukünftiger Ereignisse mögen diejenigen mit einem Hang zum Mystischen vielleicht argumentieren, daß der sechste Sinn unseres alten Freundes wieder einmal aus seinem Schlaf erwacht war. Die mit einer mehr zynischen Ader mögen dagegenhalten, daß es sich um einen alten literarischen Trick handelt, die Aufmerksamkeit des Lesers bei der Stange zu halten. Wie auch immer, Jim erinnerte sich jedenfalls an einen Abend im Fliegenden Schwan, an dem er einen Betrunkenen beobachtet hatte. Der Bursche hatte behauptet, ein ehemaliger SAS-Agent zu sein. Er hatte eine ganz gewöhnliche Zeitung genommen, sie zu einer spitzen Rolle gerollt und zu Nevilles entsetztem Staunen einen ganzen Zoll tief in das Hartholz des Tresens gerammt. Hastig mühte sich Jim, die Olympische Sonderausgabe in eine unbeholfene Wurst zu rollen, die möglicherweise — möglicherweise aber auch nicht — geeignet gewesen wäre, einen Pudel zu erschrecken.
Die verstohlene Gestalt schlich näher und verharrte schließlich einige Yards vor Pooleys Bank. Jims Nerven waren angespannt wie Violinsaiten, und die Klugheit des ringelschwänzigen Opossums erwachte in ihm. Jedenfalls fast.
»Einen guten Morgen auch«, sagte er zu der Gestalt. »Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?« Er wandte sich dem Fremden zu und schätzte ihn von oben bis unten ab. Nicht sonderlich beeindruckend, die Gestalt. Das Auge des Abschätzers glitt über glänzende schwedische Chukkastiefel, abgewetzte Kordhosen und einen schäbigen Regenmantel bis hin zu einem grauen Gesicht, unrasiert am Kinn, dunkel im Auge und behütet von einem verdreckten Fedorafilz.
Hier haben wir also einen Burschen, dachte Jim, dessen Flirts mit der Hygiene nie von längerer Dauer sind.
»Jim Pooley?«
Jim rollte nervös seine Zeitung fester. Dieser Bursche war definitiv weder Eamonn Andrews, der ihm das dicke rote Buch brachte, noch war es Chalkie White oder eine von den Schönheiten auf Seite drei, die einem fünf Pfund für die Beantwortung einer simplen Frage boten.
»Den haben Sie knapp verpaßt«, antwortete Jim. »Er ist sicher unten in der Gemeindehalle, wo er wie jeden Sonntag Unterricht in unbewaffnetem Kampfsport erteilt. Vielleicht suchen Sie dort nach ihm.«
»Schlechte Ausrede«, sagte der heruntergekommene Bursche und zog etwas aus der Tasche, das verblüffende Ähnlichkeit mit dem legendären Colt Peacemaker besaß. »Dein Glück hat dich soeben verlassen.«
Jims Gehirn hatte Mühe, mit dieser neuerlichen Veränderung der Lage zurechtzukommen: zuerst ein Niemand, dann ein potentieller Millionär, dann ein Sarg als Wohnung — und alles innerhalb vierundzwanzig Stunden. Gar nicht leicht, sich so schnell umzustellen.
»Ich glaube, ich verstehe nicht«, sagte er folgerichtig und starrte in die Mündung von etwas, das — so dicht vor seiner Nase — aussah wie eine Howitzer.
»Wieso? Ist doch ganz einfach«, erklärte der heruntergekommene Bursche. »Ich werde dich umbringen. Willst du es hier oder woanders?«
»Oh, ganz definitiv woanders. Sagen Sie mir nur wo, und ich komme hin.«
»Los, Bewegung.«
Der abgerissene Bursche steckte den Peacemaker in die Tasche seines Mantels zurück und gestikulierte mit dem verborgenen Lauf.
Ich frage mich, wo all die netten Polizisten jetzt stecken, fragte sich Jim. Wirklich eigenartig, daß nie einer in der Nähe ist, wenn man ihn braucht.
»Dort entlang.«
Jim wurde in eine Seitengasse gestoßen, von der er wußte, daß sie zu einer Lücke im Zaun der Schrebergartenkolonie führte.
»Sie werden sich ganz schön ärgern, wenn Sie morgen die Zeitung aufschlagen«, startete Jim einen weiteren Versuch. »Sie haben nämlich den falschen Mann, wissen Sie das?«
»Los, weitergehen.«
»Ich bin nicht reich, aber Sie können alles haben, was ich
Weitere Kostenlose Bücher