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Kohl, Walter

Kohl, Walter

Titel: Kohl, Walter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leben oder gelebt werden
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ihren akzeptiert werden würde. Das erfüllte mich zunehmend mit dem
Gefühl dumpfer Resignation und Einsamkeit.
    Es war
sonnenklar, dass ein ganz wesentlicher Punkt im Erziehungskonzept meiner
Eltern darin bestand, mir keinerlei Extrawurst als Politikerkind zu braten.
Meine Eltern betrachteten sich selbst im Grunde als ganz normale Leute, und es
war ihnen ein echtes Anliegen, ihren Sohn möglichst »normal« aufwachsen zu
lassen. Dabei mag durchaus auch der Gedanke an einen Imagegewinn eine Rolle
gespielt haben. Die bürgerliche Nachkriegsgeneration Westdeutschlands entwickelte
sich zu einer »nivellierten Mittelstandsgesellschaft«, wie es der bekannte
Soziologe Schelsky nannte. »Wohlstand für alle« war die vom erfolgreichen
Wirtschaftsminister und späteren Bundeskanzler Ludwig Erhard ausgegebene
Losung, und die Teilhabe breiter Schichten am sogenannten Wirtschaftswunder
schien tatsächlich auf eine dauerhafte Einebnung der sozialen Unterschiede
hinauszulaufen. Von der politischen Elite, insbesondere in einer Volkspartei,
wurde erwartet, dass sich die Parteiführer diesem Selbstverständnis sowohl in
ihrem privaten als auch in ihrem öffentlichen Auftreten anpassten. Deshalb
waren Extratouren im Privatleben, insbesondere wenn sie medienwirksam
auszuschlachten gewesen wären, unbedingt zu vermeiden. Dabei entsprachen die
persönlichen Vorlieben meiner Eltern bei der Ausgestaltung ihrer ureigenen
Lebenswelt durchaus denen eines, wenn ich so sagen darf, durchschnittlichen
bürgerlichen Ehepaars. Nur kamen sie sehr selten dazu, ihren persönlichen
Neigungen nachzugehen oder gar besondere Interessen zu kultivieren. Das galt,
wie am Beispiel Fußball in meinem Fall erkennbar geworden sein wird, oft auch
für uns Kinder. Wir waren allesamt, um es auf den Punkt zu bringen, einem
überhaupt nicht normalen äußeren Druck ausgesetzt: medialer Neugier, verbalen
und auch körperlichen Übergriffen, politischen Intrigen, zeitweise sogar akuter
Gefahr für Leib und Leben.
    Unser
»Anderssein« konnte schlicht und ergreifend nicht komplett unter den Teppich
gekehrt werden. Aber genau das war es, was unsere Eltern mit ihrer Art von
Erziehung versuchten. Von außen her betrachtet mag es als respektabel, ja,
geradezu als vorbildlich erschienen sein, dass sie uns in keiner Weise
schonten. Jedoch gestaltete sich unser Alltag dadurch als Parforceritt über
einen Parcours, auf dem es vor Doppeloxern und Wassergräben nur so wimmelte.
Lauter anspruchsvolle Hindernisse, an denen man sich immer wieder die Knochen
anschlug und wo man sich unversehens im Dreck liegend wiederfinden konnte.
Buchstäblich.
    Ich
erinnere mich an eine Begebenheit als Schüler der achten Klasse. Ich gehörte
nicht mehr zu den Kleinen, aber auch noch nicht zu den Großen. Ein
Wachstumsschub, der mich körperlich ins Format der väterlichen Familienlinie
katapultieren sollte, stand mir mit meinen 13 Jahren noch bevor. Das waren die
rein äußerlichen Voraussetzungen, unter denen sich jenes Ereignis zutragen
konnte, das ich rückblickend wohl unter meine ganz speziellen
»Initiationserlebnisse in ein Leben außerhalb der statistischen
Normalverteilung« einordnen darf.
    In der
Pause muss ich mal. Gerade habe ich mein Geschäft verrichtet und will mir die
Hände waschen. Da betreten Oberstufenschüler den Lokus. Ich bin allein, sie
sind zu viert. Blicken sich an, wie in stillschweigendem Einverständnis. Der
Größte baut sich vor mir auf, mit verschränkten Armen. Einer bleibt an der Tür,
zwei weitere treten neben mich.
    »Hey, das
ist doch der Kohl«, sagt der vor mir mit gespieltem Erstaunen.
    »Mein
Vater sagt, dass dein Alter eine ganz miese Sau ist. Voll das Arschloch.«
    Er schaut
mich herausfordernd an. Ich senke meinen Blick schweigend zu Boden. Mir ist
klar, dass ich keine Chance habe, falls sie einen Übergriff starten. Ich stehe
mit dem Rücken zum Urinal, einer flachen, langen Rinne an der Wand. Der Weg
zum Eingang ist mir versperrt, die Oberstufler stehen direkt vor mir. Ich kann
nur hoffen, dass sie sich mit Beleidigungen begnügen. Doch die Hoffnung trügt,
sie haben sich offenbar mehr vorgenommen.
    »Hey, sag
mal, ist dein Alter ein Arschloch? Bist du auch ein Arschloch?« Ich sage immer
noch nichts.
    »Na, wenn
du nichts zu sagen hast, bist du wohl auch ein Arschloch. Und weißt du, was man
mit Arschlöchern macht?«
    Sie warten
keine Antwort mehr ab, sondern schreiten zur Tat. Die beiden neben mir greifen
mir in die Arme, sodass ich mich nicht

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