Kohl, Walter
Maßnahmen, die den Charakter und
das Lebensgefühl unseres Zuhauses nachhaltig veränderten. Das Gefühl der
Machtlosigkeit alldem gegenüber ließ sie manchmal zum Galgenhumor Zuflucht
nehmen. Ihre beiden Lieblingswitze waren:
»Jetzt habe ich keine Angst mehr vor Einbrechern.«
»Vielleicht
bekommen wir ja mehr Geld, wenn wir das Haus mal verkaufen, so eine
Hochsicherheitsbude hat ja nicht jeder.«
Nur am
Rande erwähnt sei, dass selbstverständlich auch das Innere des Hauses in die
Maßnahmen mit einbezogen wurde, etwa durch Installation einer Alarmklingel und
eines speziellen Telefons, das Teil des polizeilichen Telekommunikationsnetzes
war. Man mag rückblickend manches durchaus als Auswuchs typisch deutscher
Gründlichkeit ansehen, wie etwa das Wachbuch, in dem nicht nur alle Besucher,
sondern auch das Kommen und Gehen von uns Bewohnern lückenlos dokumentiert
wurden.
Doch das
war ja immer noch nicht alles. Es gab da auch etwas, das, selbst wenn es
seinen Schrecken längst verloren hat, bei mir sogar heute noch eine Spur von
Traurigkeit aufkommen lässt, sobald ich daran denke. Eines Tages eröffnete mir
Mutter, dass nun auch das Fenster meines Zimmers schusssicher gemacht werden
müsse. Das verunsicherte und verängstigte mich zutiefst. Wenn selbst im
innersten Bezirk des Privaten Lebensgefahr herrscht, wenn auch der allerletzte
Rückzugsraum nicht mehr als unverletzlich gelten kann, ist dies eine wirklich
verstörende Erfahrung für ein Kind. So erlebte ich es. Und ich machte mir
Gedanken, die ich wiederum in mir selbst verschloss, weil ich sie mit
niemandem zu teilen wagte, nicht einmal mit meinem Bruder. Wenn ich nicht
einschlafen konnte oder nachts aufwachte, war ich mit diesen Gedanken allein.
Ich fragte mich und stellte mir vor, dass der unweit gelegene Weiher, an dem
ich doch immer so gern gespielt hatte, jetzt zum heimlichen Tummelplatz von
Terroristen würde, die dort im Schutze der Dunkelheit umherschlichen, auf eine
Lücke im Sicherheitssystem lauernd. Diese Vorstellung raubte mir den Schlaf.
Morgens war ich dann entsprechend müde und unkonzentriert.
Sich unter
solchen Bedingungen Freiräume zu erhalten, sie sich bisweilen förmlich zu
erschleichen, kann fast zur Obsession werden, zumal wenn man sich an der
Schwelle zwischen Kindheit und Jugendalter befindet und die eigenen Grenzen nur
zu gern austestet. Wenn dann das Streben nach Autonomie auch noch die Allianz
mit einem immer noch vorhandenen kindlichen Spieltrieb eingeht, konnte es
einen kessen Knirps wie mich in unbeobachteten Momenten nach risikoreichen
Experimenten gelüsten. Vielleicht umso mehr, als dass die schrittweise
Übernahme von Verantwortung für sich selbst umgekehrt proportional dazu
erfolgt, in welchem Maß Erwachsene ihn gängeln und überwachen? Ich habe als Antwort
auf diese Frage keine eigene Theorie anzubieten, sondern ein persönliches
Erlebnis. Es zeigt auch, dass der Polizeistaat en
miniature, zu dem unsere persönliche Lebenswelt schrittweise
ausgebaut wurde, in seinen Anfangsstufen auch durchaus operettenhafte Züge
aufwies.
Ab einem
Alter von sieben Jahren bin ich, wie bereits erzählt, von der Polizei zur
Schule gebracht worden. Die lebenden Schutzschilde, als welche die regulären
Polizeibeamten, die mich zu Fuß in die Grundschule begleiteten, im Ernstfall
wohl hätten fungieren müssen, wurden durch ein zunehmend professionelleres
Arrangement ersetzt. Auch dieses war jedoch alles andere als »narrensicher«,
und das im wortwörtlichen Sinn, wie folgende Episode zu beweisen scheint.
In
Oggersheim wurde ich jeden Morgen von zwei Sicherheitsbeamten mit einem
Zivilfahrzeug abgeholt. Allerdings handelte es sich um einen BMW der 5er-Reihe
in leuchtend violetter Farbe, ein Gefährt, das eher in einem gewissen Milieu,
wo Auffälligkeit zum Programm gehört, zu erwarten gewesen wäre. Mehrere große
Dachantennen signalisierten unmissverständlich, dass diese automobile
Spezialität jedoch ein Polizeifahrzeug war. Meine beiden breitschultrigen
Beschützer legten in der Regel eine gepflegte Langeweile an den Tag. Ich
selbst langweilte mich in ihrer Gegenwart dagegen nie. Zunächst war ich vollauf
damit beschäftigt, intensive Gefühle der Beschämung zu erleben. Ich fühlte mich
wieder einmal bis auf die Knochen blamiert. Umso größeres Vergnügen bereitete
mir ein Streich, den ich den beiden spielte. Ich gebe zu, dass das, was ich da
hinter ihrem Rücken trieb, mich mit solcher Befriedigung erfüllte, dass
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