Kohlenstaub (German Edition)
1 immer noch eine Attraktion. Meine Freundin hob
ihren langen Rock dezent an, um auf der Tribüne am Buschmühlenteich Platz zu
nehmen.
Sie schaute mich
von der Seite an. »Martha, du wirkst nicht gerade gut gelaunt. Möchtest du
darüber sprechen?«
Ich setzte mich
neben sie. »Rosi, ich fühle mich in meiner Gemeinde nicht mehr sicher.«
In diesem Moment
schob eine Gruppe junger Frauen ihre Kinderwagen über den Weg. Sie waren in
luftige rote oder gelbe Diolen-Stoffe gekleidet. Eine trug keck den Rocksaum über
dem Knie, entsprechend der neuen Mode aus England. Mary Quant. Das blaue Wägelchen
mit dem Kunststoffbezug passte exakt dazu.
Ich sah ihnen
nach. »Kinder. Werden wir nie haben!«
Rosi strich sich
durch den Bubikopf, der bereits graue Strähnen aufwies. »Ich sowieso nicht
mehr. Aber was ist mit dir? Du kannst es dir noch überlegen.«
»Und dafür meinen
Beruf aufgeben? Du weißt, wie gerne ich predige und mit Menschen zu tun habe!
Der Preis wäre zu hoch.«
»Obwohl es in
deiner Gemeinde schwierig ist? Deine Ansprache gestern war übrigens sehr
beeindruckend.«
»Danke.« Ich
schwieg.
Rosi schaute den
Schwänen hinterher, die krakeelten, sobald ein Besuchergrüppchen an ihnen
vorbeiging.
»Also doch
Kaminski?«, vermutete Rosi.
Mir platzte der
Kragen. »Hömma, Rosi!«, protestierte ich. Allmählich übernahm ich die
Ruhrgebietssprache. »Ich finde jeden Tag etwas anderes Ekliges vor meiner Tür,
ich weiß nicht, wem ich überhaupt noch glauben kann, mein Kollege bedroht mich …«
»Du weißt doch gar
nicht, ob Kruse den Brief geschrieben hat!«
»Aber er hat mich
mehrmals davor gewarnt, meine Nase in fremde Angelegenheiten zu stecken. Und
wäre mich lieber heute als morgen los. Und dann bezeichnet Trinkhallen-Trudi
das Pfarrhaus als Spukhaus!«
»Ich fand es auch
schon immer unheimlich bei dir!«
»Nicht meines,
Hannings Pfarrhaus. Da wären schon mal Leute drin umgekommen.«
»Das kannst du ja
herausfinden!«
»Lena Rabenau hat
ein Geheimnis mit Pastor Hanning …«
»Oha. Ein
amouröses?« Rosi kicherte verhalten.
»Sei nicht albern.
Jedenfalls: Hanning ist umgebracht worden, und merkwürdige Dinge gehen vor. Und
du glaubst, mein Problem wäre eine Neigung zu Kaminski?«
»Was wollte er
denn sonst von dir? Ich habe euch am Sonntag auf dem Westenhellweg zusammen
gesehen.«
»Steht unter
Schweigepflicht. Ach, egal. Der Kommissar weiß es auch schon: Kaminski ist der
Stiefbruder von Pastor Hanning. Vielmehr, war. Hanning wollte nicht zu ihm
stehen. Darüber haben sie gestritten. Kurz vor seinem Tod.«
»Aha. Sehr
geschickt, dir das freiwillig zu erzählen. So gerät er nicht unter Verdacht,
falls es zufällig herauskommt!«
»Meinst du?« Ich
zuckte mit den Schultern und schloss die Augen. Mit dem Kopf im Nacken genoss
ich die lang entbehrten Sonnenstrahlen im Gesicht und bemühte mich, nicht mehr
an die gruseligen Ereignisse zu denken.
Rosi öffnete ihre
Handtasche und suchte nach der Lesebrille. Anschließend machte sie sich Notizen
in einem linierten Heft. »Weißt du, was mir auffällt?«, fragte sie.
»Du wirst es mir
gleich sagen.«
»Alle kannten
Pastor Hanning: die Nachbarn in der Siedlung, auch wir, die Kollegen im
Pfarrkonvent. Ein korrekter Kollege, ziemlich fromm, etwas bieder, mit einem
hohen Anspruch an sich selbst. Dabei ein netter Kerl. Aber wer kannte ihn
privat? Hatte er Freunde, Vertraute?«
»Keine Ahnung. Du
arbeitest länger hier im Kirchenkreis.«
»Und du bist näher
dran. Weißt du, ob es Menschen gab, die Hanning nicht mochten?«
»Jankewicz.«
»Klar.«
»Vielleicht
Rabenau, wegen Lena?«
»Und Schwester
Tabea«, ertönte eine Stimme von hinten. Ich drehte mich um und blickte in das
Gesicht von Luschinski.
»Wie kommen Sie
auf Schwester Tabea?«, fragte ich.
Luschinski
grinste. »Sie hätte zu gern das Schwesternhäubchen mit einem Ehering vertauscht.
Hanning war ihr bevorzugter Kandidat. Leider hatte der Pastor kein Interesse.
Jedenfalls nicht mehr, seit ihm Frau Jankewicz den Haushalt machte. Das kam bei
der Schwester nicht so gut an.«
»Woher wissen Sie
das alles? Waren Sie mit dem Pastor befreundet?«
»Sagen wir, er war
ein guter Kumpel. Wir haben öfter einen zusammen gehoben. Wenn er mal zu Hause
rausmusste.«
»Und das fällt
Ihnen jetzt ein!«
»Haben Sie mich
danach gefragt?« Er zwinkerte mir zu.
»Warum hat Hanning
ausgerechnet eine verheiratete Frau genommen?«, überlegte ich. »Er war doch
sonst so auf Ehrbarkeit
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