Kohlenstaub (German Edition)
wieder fröhlich, fängt tausend Dinge an, näht
Blusen und Kittel …« Er wies auf die Nähmaschine, neben der sich bunte Stoffe häuften.
»Dann lässt sie alles halb fertig liegen und bringt es durcheinander. Es heißt,
sie ist gemütskrank.«
»Das muss schwer
für Sie sein.«
»Ja, ja!«, seufzte
Rabenau. »Und hier sieht’s aus wie bei Hempels unterm Sofa, ich weiß. Meine
Mutter hilft zwar, sie wohnt über uns, aber sie ist auch nicht mehr die Jüngste … Auf die Tochter kann ich nicht zählen«, fuhr Rabenau fort. »Das Fräulein will
nämlich unbedingt studieren. Dabei heiratet sie ja doch mal.«
Schwester Käthe
erschien in der Tür, die zum Schlafzimmer führte. »Sie können jetzt
hereinkommen und Frau Rabenau besuchen!«, wies sie mich an.
In diesem Moment
stürmte ein halbwüchsiger Junge herein. Der Hund bellte und sprang an ihm hoch.
Ohne zu grüßen, ließ der Junge sich auf einen Stuhl fallen und griff nach der
Bravo.
»Guten Tag,
Detlef!«, sagte die Diakonisse mit übertriebener Höflichkeit. Der Angesprochene
stand auf und reichte ihr die Hand. »Möchtest du nicht auch Fräulein Gerlach
begrüßen? Kennst du das Fräulein Pastor schon?«
»Vom Konfirmandenunterricht«,
sagte der Junge mürrisch.
»Diese jungen
Leute von heute«, meinte die Diakonisse kopfschüttelnd zu mir. »Kein Benehmen
mehr!«
Später fand ich
Lena weinend in der Küche. Kurzerhand bat ich sie, mir aus der beengten Wohnung
ins Pfarrhaus zu folgen. »Moment noch«, sagte sie und betrat einen weiteren
Raum, offensichtlich das Kinderzimmer. Und da sah ich sie: eine Reiseschreibmaschine
auf dem Schreibtisch. Konnte sie das gesuchte Modell sein? Doch Luschinski
hatte von einer IBM gesprochen.
Kaum saßen wir in
meinem Amtszimmer, begann Lena wieder zu weinen.
Ich reichte ihr
ein Taschentuch, eines, das meine Großmutter kunstvoll mit Seidengarn umhäkelt
hatte. Für die Aussteuer, die ich nun niemals zusammenstellen würde.
»Weinst du, weil
der Pastor tot ist?«
Sie nickte.
»Wie lange hast du
bei ihm im Haushalt geholfen?«
»Zwei Jahre«,
antwortete sie. »Und danach immer mal wieder, am Wochenende oder in den
Semesterferien. Wenn Frau Jankewicz mal nicht konnte.«
»Hat er dich dafür
bezahlt?«
Lena schluchzte
wieder auf. »Ich hab’s doch nicht deshalb gemacht.«
»Weshalb denn?«
»Er war wie ein
Vater zu mir!«
»Aber du hast doch
einen Vater«, wunderte ich mich. »Einen netten Vater!«
»Der Pastor war
ganz anders. Er hat immer gesagt, ich wäre so schlau, ich sollte studieren.
Damit ich mal später auf eigenen Beinen stehe.«
»Besser ist das«,
stimmte ich zu.
»Vater ist
dagegen. Ich soll eine Lehre machen und zu Hause helfen, weil Mutter krank ist.
Dabei wollte ich weg. Ich hab doch gerade erst angefangen. In Marburg.«
»Was studierst
du?«
»Ich will Lehrerin
werden, für Deutsch und Geschichte. Aber daraus wird nichts mehr, jetzt, wo der
Pastor tot ist.«
»Hat der Pastor
dein Studium bezahlt?«
Sie zuckte mit den
Schultern. »Er hat mir geholfen, aus einem bestimmten Grund. Aber da darf ich
nicht drüber reden.«
Ein schmutziger Gedanke
tauchte auf. Hatte Lena sich ihr Studium mit Liebesdiensten erkauft? War sie
das Amüsiermädchen gewesen, und Frau Jankewicz die zukünftige Ehefrau? Mal
abgesehen davon, dass ich meinem Kollegen das nicht zutraute: Warum war er dann
nicht bei Lena geblieben, sondern hatte sich eine Verheiratete gesucht? Oder
hatte Lena ihm den Laufpass gegeben? Doch warum verhielt sie sich dann immer
noch so loyal?
Lena schaute mich
erwartungsvoll an.
»Er lebt nicht
mehr! Was macht das jetzt schon noch aus?«, ermutigte ich sie.
Die rothaarige
junge Frau blieb standhaft. »Geheimnis bleibt Geheimnis.«
Ich beschloss den
Frühlingstag mit einem Abendspaziergang durch die Siedlung. Wieder zurück,
begegnete mir ein sehr verlegen dreinschauender Herr Jankewicz im Treppenhaus.
Er wirkte angeschlagen. Angesichts der aktuellen Ereignisse wunderte mich das
nicht.
»Tut mir leid,
Fräulein«, nuschelte er so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte.
»Was denn?«
»War wohl besoffen
am Samstagabend«, sagte er, so als wäre er sonst nie betrunken. Dabei blickte
er zu Boden.
»Entschuldigen Sie
sich lieber bei Ihrer Frau«, sagte ich kühl. »Und bei Ihren Kindern.«
Doch da hatte er
schon die Wohnungstür hinter sich zugezogen.
In der Nacht
weckten mich Stimmen. Eine Frau lachte. Darauf antwortete eine tiefe
Männerstimme. Ich öffnete das Fenster zum
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