Kohlenstaub (German Edition)
Westpark. Unten stand Fräulein
Kreuter, im angeschickerten Zustand hielt sie sich nicht zurück.
»Fräulein
Kreuter!«, rief ich. »Kommen Sie herein!«
Sie reagierte
nicht. Also zog ich einen Mantel über das Nachthemd und ging hinunter.
Der Mann – ein
Mittvierziger, dessen Aufzug derangiert war – ließ von der betrunkenen Frau ab,
als er mich sah. »Ach, da ist ja noch so ein Schätzken. Komm doch mal her«, lockte
er. Das Hemd hing ihm aus der Hose, und die Krawatte saß schief.
»Kommen Sie
herein, Fräulein Kreuter!«, forderte ich sie nun energischer auf.
»Ach was, jetzt
wird’s doch erst lustig!«, befand der Mann und legte meiner Untermieterin die
Hand auf die Brust. »Wie wär’s denn mit ‘nem Dreier, Süße?«
Fräulein Kreuter
kicherte in gespielter Entrüstung. »Du bist mir ja ein ganz Schlimmer!«
Der Mann kniff sie
in den Po. »Und ob! Das weißt du doch!«
»Ich muss doch
sehr bitten!« Ich stemmte die Hände in die Hüften, so wie ich es bei
Trinkhallen-Trudi beobachtet hatte.
Fräulein Kreuter
schien erst jetzt wahrzunehmen, um wen es sich bei der hinzugekommenen Person
handelte. »Ach, lass die mal. Das ist hier die Heilige vom Dienst, die darf
nicht du-weißt-schon-was!« Fräulein Kreuter bekam sich kaum noch ein vor Heiterkeit.
»Ja, ja, das sind
die Schlimmsten. Was die alle so treiben unter ihren Kutten …«
Seine Blicke
wurden noch begehrlicher.
»Nix Kutten, das
ist keine Nonne, die ist Pastorin hier. So richtig inne Kirche, sonntags. Haste
so was schon mal gehört!« Sie lachte, bis sie einen Schluckauf bekam.
Der Mann fand das
weniger lustig. »Ich glaube, ich muss jetzt gehen«, sagte er, plötzlich
ernüchtert. Ohne sich zu verabschieden, verschwand er in der Dunkelheit.
»Klar, geh nur!
Deine Frau wartet ja schon!«, zeterte Fräulein Kreuter hinter ihm her.
»Pscht!«, machte
ich und zog die Betrunkene zur Haustür. »Sie wecken noch die ganze
Nachbarschaft auf! Kommen Sie jetzt endlich!«
Sie fand den
Wohnungsschlüssel nicht, und so nahm ich sie mit zu mir in den ersten Stock.
»Pscht! Sonst wird Ihr Vater noch wach!«, zischte ich auf der Treppe.
»Was geht mich der
Jankewicz an!«, maulte sie.
Am nächsten Morgen
würde sie wieder kuschen, doch in ihrem angeschickerten Zustand ließ sie ihrer
Wut freien Lauf. Sie schimpfte auf den Stiefvater, der die Mutter verprügelte,
auf die Mutter, die sich alles gefallen ließ, auf den Kohlenpott, in dem es so
dreckig war, dass man die Trauerränder mit Nagellack übertünchen musste, und
auf die Ehemänner, die fremdgingen und nicht mal anständig dafür zahlten.
»Wenn’s hoch kommt, mal ‘n Essen oder ‘n Paar Nylonstrümpfe«, klagte sie. »Mehr
rücken die nicht raus! Aber ihren Spaß wollen sie haben, am liebsten für lau!«
»Pscht!«, machte
ich noch einmal, bettete die Beschwipste auf das Sofa im Wohnzimmer und blieb
bei ihr, bis leises Schnarchen anzeigte, dass sie eingeschlafen war.
Von
allen Seiten drängelten sie. Es gab kein Entkommen, keine Ausweichmöglichkeit.
Der Druck auf meine Brust nahm zu. Es war stockdunkel und stickig in dem Bunker
tief unter der Erde. Um mich herum ragten sie hoch auf und ließen nur den Blick
nach oben zu, hinauf zu der viel zu niedrigen Decke, wie in einer Tunnelröhre.
Sie drückten mich zusammen, winzig, wie ich war. Mir blieb die Luft weg. Es
wurde immer heißer. Wir näherten uns dem Erdkern.
Ich
war in der Hölle.
Dann
sah ich dem Teufel in die Augen. Ich hatte mich geirrt. Den Bösen gab es doch.
Satan. Seine Augen waren schwefelgelb und glitzerten gierig.
»Hilfe!
Hilfe!«, schrie ich.
Der Teufel ließ
von mir ab.
Ich bekam wieder
Luft.
Mit zitternden
Händen knipste ich die Nachttischlampe an.
Auf dem Boden saß
der schwarze Kater und sah mich aus phosphoreszierenden Augen an.
»Du dummes Vieh!«,
sagte ich zu ihm. »Was hast du mich erschreckt!«
»Koks! Koks, komm
her!«, vernahm ich in diesem Moment. In der Tür stand Fräulein Kreuter. Mit
ihren zerzausten Haaren sah sie aus wie ein kleines unschuldiges Mädchen.
Hastig richtete sie ihre Kleider.
»Ich geh dann mal,
Fräulein Pastor. Und danke für alles.« Das klang leicht verlegen.
Sie öffnete die
Wohnungstür und huschte hinaus.
Gleich darauf
hörte ich ein schrilles Kreischen: »Igitt! Pfui Teufel! Koks, warst du das?«
Der Kater war
längst die Treppe hinuntergelaufen und saß maunzend vor dem Eingang zur unteren
Wohnung. Koks war unschuldig an der Schweinerei. Er hatte die Nacht
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