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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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verschiedenen Leute in der Stadt: Ukrainer, Russen, Juden, Rumänen, Griechen, Deutsche, Franzosen, Armenier, Georgier. Die Odessiten sind aufgeschlossen. Gott sei Dank   – Mama hatte Geld mitgebracht. Aber sie verdiente auch etwas.Mama war eine gute Pianistin. Sie gab Klavierunterricht. Nicht in der Pension, sondern in den Häusern der Schüler. Das machte ihr Freude. Ich bin in Odessa gerne in die Schule gegangen.
    Im Dezember Achtzehn landeten französische Truppen in Odessa. Sie blieben vier Monate, bis Mitte April Neunzehn.
    Im April hatte Mama von den Eltern eines Klavierschülers gehört, Bunin sei in Odessa. Iwan Bunin! Sie liebte seine Bücher. Und Papa hatte ihr erzählt, Bunin habe während des Krieges einmal mit ihm gesprochen. Sie hätten nach einer Art Redaktionsbesprechung bei dem Verleger Grshrebin gemeinsam eine Droschke genommen und über das russische Volk geredet.
    Die Eltern des Klavierschülers wußten aber nicht, wo Bunin wohnte. Mama fragte überall in der Stadt herum. Endlich bekam sie eine Adresse genannt und schrieb auf gut Glück einen Brief an Bunin: Er möge sich bitte mit ihr treffen.
    Die Adresse stimmte. Vielleicht war der Name Kokoschkin der Grund, weshalb Bunin antwortete. Er schlug Mama ein Café vor. Ich durfte mitgehen. Und ich durfte auch bei allen späteren Gesprächen mit Bunin dabeisein, sogar abends.
    Mama sagte zuerst, sie danke Bunin. Sie liebe seine Bücher. Sogar seinen ersten Prosaband Ans Ende der Welt habe sie gelesen und seinen ersten Gedichtband Unter freiem Himmel. Sie besitze die sechsbändige Ausgabe seiner Werke von Neunzehnhundertfünfzehn.
    ‹Ich habe sie besessen. Ich mußte sie in Petersburg zurücklassen.›
    Dann sagte Mama, die Bolschewisten hätten im Januar Achtzehn ihren Mann ermordet.
    Bunin sagte: ‹Ich weiß.› Er habe im März Achtzehn eine Rede Lenins auf dem Kongreß der Sowjets gelesen. ‹Was für ein Tier!› Vor der Abreise nach Odessa habe er ein Buch über die Bolschewiken gekauft. ‹Eine Galerie von ehemaligen Zuchthäuslern!›
    Bunin fragte Mama, wo sie mit mir wohne.
    ‹In einer Pension. Wir teilen uns ein Zimmer.›
    Er werde sich darum kümmern, daß wir zwei Zimmer in einer Wohnung bekämen.
    Einige Tage darauf kam ein Brief von Bunin mit der Adresse von Dr.   Stein. Mama möge sich an einem frühen Abend bei Dr.   Stein einfinden.
    Ich ging mit. Wir standen eine ganze Weile staunend vor Dr.   Steins Haus.
    Mama klingelte, und Frau Stein öffnete. Sie hieß uns willkommen und führte uns in den Salon. Mir fiel sogleich der große Kamin ins Auge. Wir setzten uns in Ledersessel. Frau Stein sagte, wir könnten die beiden Gästezimmer des Hauses beziehen. Das würden wir doch sicher wollen.
    Miete brauchte Mama nicht zu bezahlen, statt dessen erbitte sie Mamas Hilfe im Haus: beim Einkaufen, beim Kochen, beim Saubermachen, beim Wäschewaschen und im Winter beim Heizen.
    Mama war sofort einverstanden. Ich glaube, sie warfroh darüber, eine Beschäftigung zu finden, und wie ein Haushalt zu führen ist, das wußte sie.
    Frau Stein zeigte uns das Haus. Alle Zimmer befanden sich im Parterre. Eine große Küche mit einem Eßtisch und sechs Stühlen, ein Bad mit einer freistehenden Wanne und einem kupfernen Badeofen, zwei Toiletten, der Salon, ein Speisezimmer, die beiden Gästezimmer; das Schlafzimmer von Steins zeigte sie uns nicht. Im Keller gab es den Heizraum, den Kohlenkeller, eine Waschküche und einen Vorratsraum.»
    «Ein Traum in Odessa», sagte Hlaváček.
    «Dazu gab es noch einen Garten rund um das Haus, den ein Gärtner in Ordnung hielt. Am nächsten Nachmittag zogen wir mit unseren beiden Koffern ein. Ich war glücklich. Ein eigenes Zimmer, Mama nebenan, ein Gefühl der Geborgenheit und der Sicherheit. Am Abend kam Dr.   Stein nach Hause. Er hatte seine Praxis in der Stadt. Ein großer, starker Mann. Er trug einen kurzgeschnittenen Vollbart. Auf den ersten Blick streng, auf den zweiten Blick herzlich. Seine Frau übrigens war seine Helferin in der Praxis.
    Die beiden Steins waren den ganzen Tag in der Praxis beschäftigt, so daß ich manchmal meinte, das Haus gehöre uns.
    An den Wochenenden waren Steins zu Hause. Oft kamen abends Gäste.
    Gelegentlich kam Bunin mit seiner Frau Vera Nikolajewna. Ich durfte dabeisein. Er sprach über den Putsch der Bolschewisten. Und keine guten Nachrichten aus Europa.Dort sei man fest entschlossen – keinerlei Einmischung in die inneren Angelegenheiten Rußlands. ‹Ja, ja, das nennt

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