Kokoschkins Reise
sicheren Boden verlassen.›
‹Aber wir fahren doch nicht nach Rußland!›
‹Und wir kehren nach Berlin zurück›, sagte Nina.
Mama hatte in der Pension Crampe zu mir gesagt, sie fürchte sich auch davor, daß das Bahnhofshotel in Saarow vielleicht nicht geheizt sei.»
«Herr Hlaváček», sagte Kokoschkin, «fahren wir doch nach Saarow. Bad Saarow, wie es jetzt heißt. Bitte bestellen Sie zwei Zimmer im Bahnhofshotel. Ich erkundige mich nach der Zugverbindung.»
Am nächsten Tag fuhren Kokoschkin und Hlaváček vom Bahnhof Zoo mit dem Regionalexpreß bis Fürstenwalde, wo sie in den Zug nach Bad Saarow umsteigen wollten.
«Die Bahnfahrt bis Fürstenwalde dauerte damals ungefähr eine dreiviertel Stunde. In Fürstenwalde hätten wir in die Kreisbahn nach Beeskow umsteigen sollen, die nach fünfundzwanzig Minuten in Saarow hielt.
Aber Chodassewitsch hatte genug von der Bahn. ‹Wir nehmen zwei Autodroschken.›
Nina war verwundert, aber sie meinte nur ‹Wie du willst›.
Die Fahrt über Petersdorf dauerte zwanzig Minuten. Die Autodroschken fuhren am Bahnhofshotel Saarow vor. Ich hatte den Eindruck, das sei es gewesen, was Chodassewitsch gewollt hatte. Am Hotel vorfahren. Er bezahlte beide Droschken.
Auf dem Bahnhofsplatz lag ein Hauch von Schnee, die Sonne war hervorgekommen, der Bahnhof leuchtete. Die gelbe Fassade, das Fachwerktürmchen, das rote Ziegeldach. Die Holzsäulen, die das freie Dach zu beiden Seiten des Gebäudes trugen.
Im Hotel war es natürlich warm; Mama lächelte.»
In Fürstenwalde stiegen Kokoschkin und Hlaváček in den Zug nach Bad Saarow. Auf dem Saarower Bahnhofsvorplatz drehte Kokoschkin sich um. Der Bahnhof leuchtete.
«Wie vor achtzig Jahren!» sagte Kokoschkin.
Hlaváček, der eine Broschüre hochhielt, sagte: «Der Bahnhof etcetera wurde kürzlich generalsaniert. Er war fünfzig Jahre lang dem Verfall preisgegeben gewesen. Und noch etwas: Der Ortskern von Bad Saarow war fast fünfzig Jahre lang von der Sowjetarmee besetzt. Das besetzte Areal von einem hohen grünen Bretterzaun umgeben. Einheimische durften nicht hinein. Die Sowjets wußten auch, daß Saarow ein bekömmliches Heilbad ist. Die Villen im sowjetischen Bereich waren gut für Offiziere. Bis Neunzehnhundertvierundneunzig. Am Ende konnte man sehen, daß die Villen vollkommen heruntergewirtschaftet waren.»
«Und jetzt?»
«Alles saniert.»
Sie gingen zum Bahnhofshotel am linken Ende des Bahnhofsvorplatzes.
Hlaváček sagte: «Auch wie vor achtzig Jahren?»
«Generalsaniert», sagte Kokoschkin.
Gut, daß Hlaváček Zimmer bestellt hatte. Das Hotel ausgebucht. Kokoschkin sagte: «Vielleicht kann ich mir gelegentlich das Zimmer ansehen, in dem Mama und ich gewohnt haben.»
Zu dem Haus, in dem Gorki Neunzehnhundertzweiundzwanziggelebt hatte, mochte Kokoschkin nicht zu Fuß gehen.
«Wir haben Nina und Chodassewitsch oft zu dem Haus begleitet. Das Neue Sanatorium. Aber nie sind wir mit ins Haus gegangen. Gorki haben wir nicht gesehen.»
Hlaváček ließ von der Rezeption ein Taxi rufen.
Zu dem Taxifahrer sagte Kokoschkin: «Kronprinzendamm, bitte.»
«Det ham wa hier nich.»
Hlaváček schwenkte seine Broschüre: «Karl-Marx Damm, seit DD R-Zeiten .»
«Karl-Marx-Damm», sagte der Taxifahrer. «Det hätten Se ooch loofn könn.»
Unterwegs sagte Kokoschkin: «Gorki wußte von meinem Vater. Und er hatte von Nina erfahren, daß Mama und ich in Saarow sind. Aber er hat Mama nicht eingeladen.»
«Gorki?» sagte der Taxifahrer. «Det Gorki-Haus is in de Ulmenstraße.»
«Das war die Gedenkstätte aus DD R-Zeiten . Dort hat Gorki nie gewohnt», sagte Hlaváček.
«Aha.»
Nach wenigen Minuten sagte Kokoschkin: «Hier müßte es sein. Aber hier ist es nicht.»
Der Taxifahrer sagte: «Det is ne Villa mit Ferienwohnungen. Seit Zwotausendeins. Früher stand hier ’n Mütter- und Säuglingsheim. Ham se abjerissn.»
«Und das war damals das Neue Sanatorium, wo Gorki gewohnt hat.»
«Kann sein», sagte der Taxifahrer.
Im Hotelrestaurant sagte Kokoschkin zu Hlaváček: «Gorki lebte in Saarow mit Gefolge. Im ersten Stock des Sanatoriums wohnte er. Da wohnte auch seine Geliebte, Sekretärin, Dolmetscherin und Haushälterin Mura. Das war die Baronin Maria Budberg. Parterre lebte sein Sohn Maxim Peschkow mit seiner Frau Nadeshda.
Und Gorki empfing viele Gäste. Es kam seine erste Frau, Jekaterina Peschkowa, die Mutter seines Sohnes. Sie lebte in Moskau und war eine Mitarbeiterin von
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