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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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Dserschinski, dem Chef der sowjetischen Geheimpolizei Tscheka. Sie kam nur, wenn sie sicher sein konnte, daß Gorkis zweite Frau, Maria Andrejewa, nicht da war. Maria Andrejewa, eine Vertraute Lenins, lebte in Berlin und war als Abteilungsleiterin in der Sowjetischen Handelsmission Unter den Linden beschäftigt. Das war die deutsche Zentrale der Tscheka. Sie brachte ihren neuen Lebenspartner und Kollegen Pjotr Krjutschkow mit nach Saarow, der sich zu einem Vertrauten Gorkis machte. Moskau wußte über Gorki aus verschiedenen Quellen bestens Bescheid.
    Weihnachten Neunzehnhundertzweiundzwanzig besuchten Viktor Schklowski, Andrej Belyj und die Verleger Ladyschnikow und Grschebin Gorki in Saarow.»
    Hlaváček sagte: «So genau wußten Sie das alles damals nicht.»
    «Nein.»
    «Gorkis Leben in Saarow muß recht kostspielig gewesen sein.»
    «Nicht nur in Saarow. Er war von einer Kur in St.   Blasien im Schwarzwald von Dezember Einundzwanzig bis April Zweiundzwanzig nach Berlin gekommen, wo er eine große Wohnung am Kurfürstendamm bewohnte. Im Juni Zweiundzwanzig ging er zur Erholung nach Heringsdorf auf Usedom; dort hatte er die Villa Irmgard zur Verfügung. Und nach dem Aufenthalt in Saarow ging er wieder in den Schwarzwald, nach Günterstal bei Freiburg.»
    «Von seinen Honoraren und Tantiemen konnte er das nicht finanzieren.»
    «Lenin hatte Molotow im Dezember Einundzwanzig angewiesen, Gorki in die Liste derjenigen Leute aufzunehmen, die sich im Ausland auf Kosten des Sowjetstaates medizinisch behandeln lassen durften. ‹Kosten für Heilbehandlung›. Gorkis Sohn und dessen Frau bekamen ein ‹Stipendium›. Der Sowjetbotschafter in Berlin, Nikolai Krestinski, war für die Auszahlungen verantwortlich.
    Und ab Januar Zweiundzwanzig mußte Alexander Helphand, der sich Parvus nannte, Gelder an Gorki zurückzahlen, die er als Gorkis Agent unterschlagen hatte; es waren die Tantiemen, die Helphand für die Aufführungen von Gorkis Nachtasyl bei den Theatern kassiert hatte. Am Ende bekam Gorki bis Januar Neunzehnhundertfünfundzwanzig sechsundzwanzigtausend Dollar zurück. Das Geld von Helphand ging in Raten auf einKonto der Dresdner Bank; Krjutschkow schickte es nach und nach an Gorki, zuerst nach Saarow.»
    «Ein Drahtseilakt», sagte Hlaváček. «Einerseits nahm Gorki Geld von Lenin, andererseits übte er Kritik an Lenins Terror gegen russische Künstler und Intellektuelle.»
    «Und am Terror gegen die Sozialrevolutionäre, die russischen Sozialdemokraten. Der Prozeß gegen sie dauerte vom achten Juni bis siebenten August Neunzehnhundertzweiundzwanzig. Zu dieser Zeit war Gorki in Deutschland. Am ersten Juni Zweiundzwanzig schrieb Gorki an Alexej Rykow, der damals Vizechef des Rates der Volkskommissare war. Sinngemäß schrieb Gorki: ‹Wenn der Prozeß mit Todesurteilen endet, dann ist das vorsätzlicher Mord. Sagen Sie das Trotzki und den anderen. Ich habe die Sowjetmacht immer wieder darauf hingewiesen, daß die Vernichtung der Intelligenzija in unserem unkultivierten Land voller Analphabeten ein Verbrechen ist.›
    Auf der anderen Seite die Angriffe der Emigranten in Berlin, die Gorkis gute Beziehungen zur Sowjetbotschaft natürlich mitgekriegt hatten.»
    «Gorki zwischen allen Stühlen.»
    «Seine Zeitschrift Besseda, bei der Chodassewitsch ihm geholfen hatte, durfte in Sowjet-Rußland nicht vertrieben werden. Für Lenin war die Zeitschrift antisowjetisch. Das war natürlich das Ende für den Verlag in Berlin. Nach sieben Nummern Neunzehnhundertfünfundzwanzig das Aus.»
    Hlaváček sagte: «War das Leben in Saarow für Sie nicht langweilig? Noch immer keine Schule. Mit Mama allein im Hotel. Sie waren beinahe dreizehn Jahre alt.»
    «Es war oft langweilig. Ich ging gerne an den See. Dort traf ich einen deutschen Jungen in meinem Alter. Manfred. Er zeigte mir den Ort. Den Fontanepark. Das alte Dorf Saarow. Ich radebrechte deutsch, er sprach mit den Händen. Im Winter wanderten wir mit seinem Schlitten in die Rauener Berge. Und ich lernte in Saarow Schach. Chodassewitsch hat es mir in seinem Zimmer beigebracht. Nina wohnte in einem zweiten Zimmer. Aber Sie haben recht. Mama machte sich Sorgen um mich. Sie ging öfter mit mir in die Konditorei Balz. Mama wollte, daß ich unter deutsche Leute komme. Aber dort verkehrten auch die russischen Gäste von Gorki. Herr Balz mochte die Russen, und sie mochten ihn.»
    «Wie war es zu Weihnachten Zweiundzwanzig.»
    «Im Hotel gab es für alle Gäste eine Weihnachtsfeier im

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