Kokoschkins Reise
ein Platz frei, und er werde dafür sorgen, daß ich eine Freistelle bekäme.
Mich fragte er auf deutsch, wie alt ich sei, und ich konnte ihm auf deutsch antworten: ‹Dreizehn Jahre.›
Zu Mama sagte er: ‹Das wäre die Untertertia. Ich halte es aber für besser, daß wir Ihren Jungen in die Quarta aufnehmen, damit er Zeit findet, Deutsch zu lernen.›
Mama nickte mir zu und sagte, sie sei einverstanden. Mama war glücklich.
Professor Graeber telefonierte. Er sprach mit jemandem, dem er sagte, daß ein neuer Schüler namens Fjodor Kokoschkin ins Alumnat aufgenommen werde, und er bat darum, den Adjunkten zu ihm zu schicken, um Mama und mich zum Alumnat zu bringen, mich dort vorzustellen und uns das Haus zu zeigen. Später erfuhr ich, daß Professor Graeber mit dem Alumnats-Inspektor telefoniert hatte.
Zu Mama sagte Professor Graeber, ich könne so bald wie möglich ins Internat eintreten.
Mama sagte, sie bringe mich mit meinen Sachen in etwa einer Woche.
‹Besprechen Sie alles mit dem Inspektor und mit der Hausdame von Alumnat Eins.›
Inzwischen war der Adjunkt eingetreten.»
«Adjunkt?» sagte Hlaváček.
«Die Adjunkten waren Studienreferendare, die den Alumnats-Inspektor und die Hausdame zu unterstützen hatten.
Professor Graeber verabschiedete sich von uns und übergab uns dem Adjunkten.
Der brachte uns zum Alumnats-Inspektor vom Alumnat Eins. Die Inspektoren leiteten die Alumnate und waren zugleich Lehrer. Der Inspektor empfing uns wohlwollend, sagte, der Adjunkt werde mich auch der Hausdame vorstellen und – nicht zu vergessen – dem Famulus. Schließlich werde der Adjunkt uns das Haus zeigen und anschließend mit uns wieder zu ihm kommen.»
«Wozu der Famulus?»
«Ein Primaner, der im Alumnat an der ersten Stelle der Schüler stand und dem Inspektor und der Hausdame zur Hand ging.»
«Wieviel Schüler wohnten in den Alumnaten?»
«Wie gesagt – in jedem Alumnat fünfundzwanzig.
Es war gerade Hausarbeitszeit; der Adjunkt sagte, er werde uns nur kurz in ein Arbeitszimmer schauen lassen, um die Schüler nicht zu stören.
Er führte uns zuerst im Erdgeschoß in das Musikzimmer, eine Art Aufenthaltsraum, von dem man durch eine zweiflügelige Schiebetür in den Speisesaal ging. Der Speisesaal hatte natürlich noch einen Eingang vom Korridor her. Die Tische waren schon für das Abendessen gedeckt. Der Adjunkt sagte, er, die Hausdame und der Famulus nähmen an den Mahlzeiten teil. Am anderen Ende des Speisesaals lag der Zugang zur Anrichteküche. Die Gerichte wurden aus dem Wirtschaftsgebäude gebracht.
Der Adjunkt zeigte im Korridor linkerhand auf dieTür zur Wohnung der Hausdame und zum Zimmer des Dienstmädchens, schließlich auf die Tür zum Krankenzimmer.
Im Erdgeschoß an der Schmalseite des Alumnatsgebäudes führte eine Tür in die Wohnung des Inspektors, die eigentlich ein separates zweigeschossiges Haus mit sieben Zimmern war.
Wir stiegen die Treppe zur ersten Etage hinauf. Neben der Treppe in der ersten Etage befand sich das Arbeitszimmer des Inspektors mit einer Tür zum Korridor, an dem die Arbeitszimmer der Alumnen lagen.
Der Adjunkt zeigte auf die Tür zu seinen zwei Zimmern. ‹Hier hause ich. Es gibt außerdem sechs Arbeitszimmer: vier Zimmer für vier bis sechs Schüler und zwei Zimmer für je zwei Abiturienten. Ich glaube, Ihr Sohn wird anfangs in einem Zimmer für sechs Schüler untergebracht. Dieses Zimmer zeige ich Ihnen.›»
Hlaváček sagte: «Sechs in einem Zimmer. Eine erschreckende Vorstellung für mich.»
«Ich wechselte später in ein Zimmer mit vier, zuletzt in eines mit zwei Schülern, als Primaner.
Der Adjunkt klopfte an die Tür des Sechser-Zimmers und öffnete sie. Fünf Schüler wendeten uns ihre Gesichter zu. Mama und ich sagten ‹Guten Tag›. Der Adjunkt zeigte auf mich und sagte, daß ich nächstens hier einziehen werde. Der älteste Schüler sagte: ‹Willkommen in unserem Stall.› Später erfuhr ich, daß das der Senior des Zimmers war.
Ich sagte: ‹Danke!› und hatte nur Blicke für diemannshohen Arbeitsschränke: eine aufklappbare Schreibplatte. Dahinter links und rechts je ein kleines Schubfach. In der Mitte ein freies Fach. Im oberen Schrankteil, mit zwei Türen verschließbar, drei Etagen Bücherregal, im unteren Schrankteil drei Schubkästen. Jeder Schrank ein kleines Reich für sich. Einer der Schränke war geschlossen. Das sollte mein Arbeitsschrank werden. Meine eigene Welt.
Im Dachgeschoß zeigte der Adjunkt uns die Schlafsäle:
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