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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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dritten und vierten Etage befand sich die Pension Crampe. Ein Glück, daß es nicht ausgebombt wurde.»
    «Woher hatte Ihre Mutter die Adresse.»
    «Wahrscheinlich von Bunin. Er kannte Nina.»
    «Nina?»
    «Nina Berberova.»
    «Ach so. Ich habe Bücher von ihr gelesen.»
    «Bunin wußte, daß sie nach Berlin wollte.»
    «Aber Bunin ist doch Neunzehnhundertzwanzig aus Odessa nach Paris geflohen.»
    «Offenbar hat er Kontakt zu Nina in Rußland gehalten, oder zu ihrem Lebensgefährten, dem Dichter Chodassewitsch. Als sie Neunzehnhundertzweiundzwanzig mit Chodassewitsch nach Berlin gekommen war, hat sie es Bunin nach Paris geschrieben.
    Und er hat es meine Mutter in Odessa irgendwie wissen lassen.»
    Kokoschkin versuchte, durch die Scheibe der Haustür ins Treppenhaus zu blicken. «Der alte Marmor   …»
    Hlaváček sagte: «Ihre Mutter ging praktisch mit einer Empfehlung von Bunin zu Nina Berberova.»
    «So ungefähr. Nina nahm uns herzlich in die Arme. Sie bürgte bei Frau Crampe für uns. Wir bekamen ein Zimmer mit dem Blick auf den Hof.
    Mama war sehr froh, daß Rußland hinter uns lag. Und daß sie neue Freunde gefunden hatte, gleichgesinnte, die nichts mit den Bolschewisten zu tun haben wollten.»
    «Das trifft zumindest auf Nina Berberova und Chodassewitsch zu.»
    «Ja. Mama hatte sich in Odessa Geld zusammengeborgt für die Reise nach Deutschland. Als wir in Berlin ankamen, war sie blank.
    Nina sagte zu ihr: ‹Machen Sie sich keine Sorgen, wir beschaffen etwas für Sie.›
    Es gab Hilfsorganisationen für Flüchtlinge aus Rußland. Aber es gab auch bolschewistische Leute. Agenten, Spitzel. Vor denen hatte Mama Angst. Besser gesagt: Sie hatte Angst um mich. Ab Dreiundzwanzig war der Komintern-Strolch Radek in Berlin.
    Herr Hlaváček, lassen Sie uns in das Café dort drüben gehen.»
     
    Im Café sagte Kokoschkin: «Der Anblick des Springbrunnens   … Ich habe oft am Springbrunnen gespielt. Und auf dem Rasen. Mir fällt manches wieder ein. Vieles, was ich damals noch nicht verstehen konnte, hat Mama mir später erklärt. Sie wußte es oft aus abendlichen Gesprächen mit Nina Berberova. Knapp vier Monate nach unserer Ankunft war Nabokovs Vater, Wladimir Dmitrijewitsch, in Berlin ermordet worden. Die Mörder hatten es auf Miljukow abgesehen, der Außenminister im ersten Kabinett der Provisorischen Regierung gewesen war. Nabokovs Vater wollte Miljukow zu Hilfe kommen und wurde erschossen. Drei Monate vor unserer Ankunft hatte Deutschland das sowjetische Regime diplomatisch anerkannt. Rapallo.»
    Hlaváček sagte: «Das bedeutete aber   …»
    «…   daß die russischen Emigranten zu Staatenlosen wurden.»
    «Falls sie keinen sowjetischen Paß haben wollten.»
    «Mama und ich waren in Deutschland von Anfang an staatenlos. Einen sowjetischen Paß wollte Mama auf keinen Fall. Sie hat bei der deutschen Behörde einen Nansen-Paß beantragt.»
    «Und bekommen?»
    «Ja.»
    «Aber der Nansen-Paß war nur ein Jahr gültig.»
    «Immerhin. Und er wurde von über fünfzig Staaten anerkannt.»
    Hlaváček sagte: «Wollen wir nicht in das Haus gehen?»
    «Nur wie. Die Haustür ist verschlossen.»
    «Wir warten vor der Haustür, bis jemand herauskommt oder hineingeht.»
     
    Eine ältere Frau kam auf das Haus zu und zog einen Schlüssel aus der Tasche.
    «Entschuldigen Sie bitte», sagte Hlaváček, «dürfen wir mit Ihnen das Haus betreten? Wir möchten den Treppenaufgang sehen.»
    «Ungern», sagte die Frau, «in letzter Zeit wurde viel gestohlen.»
    «Ich bitte Sie! Sehen wir aus wie Diebe? Wir sind Nostalgiker.»
    «Na kommen Sie. Aber nur kurz.»
    Im Vestibül die halbhohe Wandverkleidung und die Andeutung eines Kamins aus braunem, weißgesprenkeltem Stein, Marmor oder Granit. Die ersten vier Stufen weißer Marmor.
    «Die Statue mit der elektrischen Fackel in der Hand fehlt», sagte Kokoschkin.
    «Gestohlen», sagte die alte Frau. Sie verschwand im Aufzug.
    Das Treppengeländer. Der Frauenkopf aus Holz geschnitzt, auf der ersten Säule des Geländers. Der Blick der Frau abweisend.
    Kokoschkin und Hlaváček stiegen die Treppe hinauf. Erster Halt auf der dritten Etage.
    «Hier und auf der vierten Etage war die Pension», sagte Kokoschkin. «Wir wohnten auf der vierten.»
    Eine Treppe höher zweiter Halt. Kokoschkin stand vor der Tür zur Pension. «Ich bin wieder zwölf Jahre alt und komme vom Spielen nach Hause zu Mama. Die Pension war mein neues Zuhause.»
    Der Weg treppab. Zu seiten der Haustür

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