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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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Clemente an.
    «Sie sprachen vom Bau von Produktionsanlagen in Entwicklungsländern   …»
    «Genau. Als Joint Ventures.»
    «Ich stelle mir das als sehr kompliziert vor: politisch, rechtlich, organisatorisch.»
    «Vergessen Sie nicht, daß diese Länder unsere Fabriken wollen. Sie profitieren davon, politisch, wissenschaftlich-technisch, finanziell. Man braucht natürlich hochrangige Partner in den Regierungen und Verwaltungen. Das oberste Ziel muß der angemessene Profit sein, auch kurzfristig. Und was das Menschliche betrifft: Man darf nicht versuchen, so zu sein wie die Vertragspartner. Die Partner erwarten von uns Klarheit der Analyse, Direktheit des Ausdrucks und Entscheidungsfähigkeit.»
    «Alles gut und schön. Aber es gibt unterschiedliche gesellschaftliche Verhältnisse: halbfeudale Länder, junge Demokratien, reine Diktaturen.»
    «Ja. Und?»
    «Ist es für Ihre Zwecke einfacher, in Ländern tätig zu sein, die keine Diktaturen sind?»
    «Demokratien oder Diktaturen! Das ist für uns vollkommen gleichgültig. Wir arbeiten in demokratischen Ländern und in Diktaturen. Das einzige Kriterium für uns ist, daß wir profitabel arbeiten.»
    «Wenn es Ihnen nur auf den Gewinn ankommt – stabilisieren Sie die Diktaturen mit Ihren Anlagen nicht?»
    «Sie reden schon wie diese Menschenrechtler! Die faseln am grünen Tisch von Meinungsfreiheit und Bürgerrechten, aber sonst bringen sie nichts zustande, weder Maschinen noch Autos, weder Staudämme noch Kraftwerke!»
    «Ich habe persönliche Gründe, anders zu denken als Sie.»
    «Das ist Ihr gutes Recht. Aber es ändert nichts an den wirtschaftlichen Bedingungen in der Welt.»
    Kokoschkin stand auf und verabschiedete sich.
    Der Mann sagte: «Nun seien Sie doch nicht gleich verstimmt.»
     
    Wieder ließ Kokoschkin das Dinner im Britannia Restaurant aus; er nahm ein kleines Abendessen von einem Büfett im Kings Court. Bei Tisch kam er mit einem älteren Ehepaar ins Gespräch. Der Mann sagte recht bald, er schreibe leidenschaftlich gerne Kurzgeschichten. Aber niemand wolle sie drucken.
    «Da sind Sie sicher in guter Gesellschaft.»
    Der Mann sagte, er lese viel. Er hasse allerdings Geschichten mit F-Wörtern .
    «Aber die werden gedruckt», sagte Kokoschkin.
    «Ja. Leider.»
     
    Das Theater vollbesetzt. Die Zuschauer in festlicher Abendgarderobe. Die Tanz-Show mußte wegen des Seeganges ausfallen. Statt dessen ein Jongleur. Statt zu jonglieren, redete er über Jonglieren. Einige seiner Nummern mißlangen. Er sagte entschuldigend: wegen des Seeganges.
    Olga Noborra stand auf. Kokoschkin hatte darauf gewartet. Sie verließen das Theater. Andere Besucher gingen auch.
    Kokoschkin fragte Olga Noborrra, ob sie nach diesem Erlebnis noch neugierig darauf sein wolle, Commodore’s Black and White Gala Ball im Queens Room zu besehen.
    Sie fanden keinen Platz an einem der kleinen Tische rund um die Tanzfläche und blieben am Rand stehen. Die Förmlichkeit des Gewoges amüsierte Olga. Kokoschkin sah, daß sie nicht dazu aufgelegt war, sich in die tanzende Menge ziehen zu lassen.
    «Mir ist auch nicht danach, mit meinen Fünfundneunzig», sagte er.
    Er folgte ihr aus dem Saal und begleitete sie zum Aufzug.
    Olga Noborra sagte: «Morgen Frühstück im Kings Court?»
    «Zehn Uhr?»
    «O.   K. Bis morgen.»
     
    Kokoschkin ging im Golden Lion Pub an die Bar. Der Keeper erzählte beiläufig, er habe für sechs Monate auf dem Schiff angeheuert und arbeite täglich zwölf Stunden. Das lohne sich, sei aber doch ziemlich anstrengend. Kokoschkin sagte, seit dem ersten Reisetag habe er nur ein einziges anderes Schiff auf dem Atlantik gesehen.
    «Das liegt an unserer besonderen Route», sagte der Keeper. «Die Containerschiffe nach Amerika und retour fahren auf einer anderen.»
    «Flugzeuge habe ich überhaupt nicht gesehen.»
    «Die Transatlantikflüge verlaufen weiter nördlich.»
     

 
    Kokoschkin und Jakub Hlaváček stiegen am 25.   August 2005 vor dem Hotel Bogota in ein Taxi.
    «Wir kamen am fünfzehnten Juli Neunzehnhundertzweiundzwanzig am Schlesischen Bahnhof an. Ich war müde, aber wach», sagte Kokoschkin. «Ich war zwölf Jahre alt. Mama rief einen Gepäckträger. Der brachte uns zu einer Autodroschke. Wir fuhren zum Viktoria-Luise-Platz im Bayerischen Viertel.»
     
    Kokoschkin sagte zu dem Taxifahrer: «Wir steigen Münchner Straße Ecke Viktoria-Luise-Platz aus.»
    Er ging mit Hlaváček nur wenige Schritte und sagte: «Das ist das Haus, zu dem Mama wollte. Auf der

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