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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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kam vom Podest herunter, nahm an der Bar sein Bier und prostete Olga zu.
    Sie sagte: «Sehr scheen. Sie haben die Version der Andrews Sisters gesungen.»
    «So habe ich es zuerst gehört.»
    «Bei den Andrews Sisters und sogar bei Ella Fitzgerald hört man den Einfluß der Boswell Sisters.»
    Unterdessen ging die Karaoke-Show weiter.
    «Zu laut, um sich zu unterhalten», sagte Olga. «Ich bin auch müde. Ich gehe schlafen. Leben Sie wohl, Fjodor.»
    «Bis morgen», sagte Kokoschkin.
    Er blieb an der Bar stehen und trank sein Bier aus. Schließlich, gegen 24   Uhr, ging er ins Kings Court, aß Artischockenherzen und trank einen Orangensaft.

 
    «Aline war traurig, ich war traurig. Alines Eltern schwiegen. Aber ich ging von Berlin fort.
    Aline brachte mich zum Anhalter Bahnhof. Ich versprach ihr, bald meine Adresse zu schreiben. Ich bat sie, mich bald zu besuchen.
    Ich fuhr am einundzwanzigsten Juni Dreiunddreißig nach Prag.»
    «Dreiunddreißig», sagte Hlaváček. «Da war ich noch gar nicht geboren.»
    «Ich war nie in Prag gewesen. Aber ich hatte einiges über Prag gelesen. Ich wußte nicht, wohin ich in Prag gehen sollte.
    Ich wußte nur, daß die tschechischen Grenzbehörden Reisende oder Flüchtlinge aus Deutschland ins Land ließen.
    In Prag stand ich mit meinem Koffer in der Hand auf dem Vorplatz des Wilsonovo nádraží. Wohin jetzt? Ich hatte Hunger. Ich wanderte die Wilsonova entlang, an der Ecke Bolzanova vorbei und bog links in die Hybernská ein. Dort ging ich ins nächste Restaurant und bestellte Schweinsbraten mit Semmelknödeln und Sauerkraut, dazu ein Pilsener Bier.
    Der Wirt sprach Deutsch. Ich fragte ihn, ob ich meineZeche mit deutschem Geld bezahlen könne, und er willigte ein.
    Er fragte mich, wohin ich reisen wolle.
    Ich sagte, ich wolle in Prag bleiben, könne mir aber keine Pension leisten. Ob ich in seiner Küche als Tellerwäscher arbeiten könne.
    ‹Ja›, sagte er. Und wohnen könne ich zusammen mit einem anderen Küchenjungen in der Dachkammer. Das sei mein Lohn für die Küchenarbeit. Außerdem bekäme ich pro Tag eine warme Mahlzeit, zum Beispiel Schweinsbraten mit Semmelknödeln und Sauerkraut, dazu ein Bier. Allerdings, Tellerwaschen werde nicht meine einzige Arbeit sein. Ich müßte auch Gemüse putzen, Kartoffeln schälen, die Küche saubermachen.
    Ich war einverstanden. Eine Nothilfe. Geld konnte ich aber nicht verdienen.
    An Aline schrieb ich: ‹Eine Unterkunft habe ich gefunden und eine Arbeit auch. Aber es ist nichts auf Dauer.›
    Der andere Küchenjunge war Sudetendeutscher. Er hieß Franz. Ich nahm meinen Koffer, und Franz zeigte mir die Dachkammer. Ein elendes Loch. Heiß, stickig. Ohne Kleiderschrank. Eine Emaille-Waschschüssel auf einem Gestell. Toilette eine Treppe tiefer. Unter beiden Betten Nachttöpfe.
    Die Küchenarbeit sollte am nächsten Morgen beginnen.
    Meine Lage war erbärmlich, aber ich befand mich in Prag. Ich machte mich auf den Weg in die Goldene Stadt.
    An einem Kiosk erstand ich einen Stadtplan in tschechischer, einen anderen in deutscher Sprache. Außerdem das deutschsprachige Prager Tagblatt. Erst Jahre später begriff ich, wer die Leute waren, die im Prager Tagblatt geschrieben haben. Max Brod, Johannes Urzidil, Alfred Polgar und Roda Roda, Friedrich Torberg und Egon Erwin Kisch.
    Ich ging die Hybernská entlang und begriff allmählich: so armselig meine Unterkunft auch war, ich wohnte nahezu im Zentrum von Prag.
    Tschechisch hatte ich mir einfacher vorgestellt. Ich dachte, wer Russisch spricht, der kann leicht Tschechisch verstehen. Irrtum. Statt des Stadtplans in tschechischer Sprache benutzte ich anfangs nur den deutschsprachigen Stadtplan.
    Auf der Hybernská kam ich bald zum Platz der Republik und sah das Gemeindehaus und den Pulverturm.
    Ich bog in die Celetná ein und war im Nu am Altstädter Ring mit dem Altstädter Rathaus auf der einen Seite, der Teynkirche auf der anderen.
    Wäre ich der Hybernská in die Na příkopě gefolgt, hätte ich den Wenzelsplatz erreicht.
    Mir gingen die Augen über von der Schönheit der Gebäude.»
     
    «Am nächsten Morgen fing mein Dienst in der Restaurant-Küche an. Der Wirt war großzügig. Mittags aßen Franz und ich Lendenbraten mit Schmand   …»
    «Svíčková na smetaně», sagte Hlaváček.
    «Anderntags gebackenen Käse   …»
    «Smažený sýr.»
    «Immer Bier. Pilsener oder Budweiser. Auch täglich Nachspeisen. Buchteln oder Palatschinken. Dazu Kaffee, Türke.»
    «Sie machen mir

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