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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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Appetit.»
    «Franz, der andere ‹Küchenjunge›, ein neunzehnjähriger kräftiger Bursche, stammte aus Asch im nordwestböhmischen Zipfel. Er sprach eine Art Bairisch, mit rollendem R.   Ich fragte ihn, warum er in Prag arbeite. Er sagte, in Asch, wo man Deutsch spreche, seien die Leute gegen die Tschechen eingestellt, obwohl doch alle tschechoslowakische Staatsbürger seien. Er wolle Tschechisch lernen, müsse sich aber noch mit den tschechischen Ausdrücken für die böhmische Küche begnügen, weil er zum Lernen keine Zeit finde. Er wolle Koch werden, besonders für böhmische Gerichte. Unser Koch zeige ihm schon ab und zu, wie man es mache.
    Er fragte mich, was denn ich in Prag wolle. Ich sei doch kein Küchenjunge.
    Ich sagte ihm die Wahrheit. In Deutschland habe es mir nicht mehr gefallen seit dem Gleichschritt. Ich wolle in Prag studieren, aber mir fehle das Geld. Deshalb der Küchenjunge.
    ‹Ich verstehe›, sagte er. ‹Den Gleichschritt gibt es in Asch auch schon. Aber studieren? Da mußt du doch Tschechisch können. Und Geld? Das kannst du in der Küche nicht verdienen   …›
    ‹Ich weiß›, sagte ich. ‹Aber erst einmal habe ich hier ein Dach über dem Kopf und jeden Tag etwas zu essen.›
    ‹Ich an deiner Stelle›, sagte Franz, ‹ich tät erst einmal aufs Land gehen. Wo die Leute Tschechisch reden. Das lernst du dort. Und beim Bauern arbeiten. Da kriegst du ein Geld. Das kannst du sparen. Wenn du genug gespart hast und Tschechisch kannst, dann kommst du zurück nach Prag und studierst.›
    Das klang vernünftig. Ich habe lange darüber nachgedacht. Aufs Land. Wohin? Jedenfalls nicht in eine Gegend, in der Deutsch vorherrschte.
    An einem Sonntag bin ich bis zum Eingang des Botanischen Gartens an der Straße Na slupi gewandert. Hineingegangen bin ich nicht, weil ich das Eintrittsgeld lieber sparen wollte. Ich dachte an Aline, an unsere Arbeit im Berliner Botanischen Garten, und es schnürte mir die Kehle zu. Hier, im Prager Botanischen Garten, bekäme ich nie eine Arbeit, nicht als Hilfsgärtner und schon gar nicht als Führer für Besucher. Ich war noch kein Biologe, und ich sprach kein Tschechisch. Mutlos ging ich zurück zur Altstadt.
    Noch deprimierender fiel meine Wanderung zur Karls-Universität aus. Ich wußte, daß ein Botaniker der Rektor der Universität war, Karel Domin. Sein Autorenkürzel DOMIN kannte ich schon aus dem Botanischen Museum in Berlin. Er hatte in der Biblioteca botanica die Pflanzengeographie Australiens beschrieben.
    An der Karls-Universität immatrikuliert zu werden,das kam mir noch aussichtsloser vor als eine Anstellung im Prager Botanischen Garten. Ich habe es gar nicht erst versucht. Auf dem Heimweg in die Hybernská hatte ich plötzlich das Gefühl, meine Abreise aus Berlin, mein Aufenthalt in Prag seien verfehlt.
    Aber dieses Gefühl hielt nicht lange an. Ich sprach in unserer Bodenkammer mit Franz. An welche Gegend er gedacht habe, als er mir riet, aufs Land zu gehen.
    ‹An Mähren, an einen Marktflecken bei Telč.›
    ‹Wie kommst du darauf. Ich habe noch nie etwas von Telč gehört.›
    ‹Mein Vater ist Metzger. Er hat einmal bei Satrapa in Studená gearbeitet.›
    ‹Satrapa?›
    ‹Hast du noch nichts von Satrapa gehört? Eine Fabrik für Selchwaren.›
    ‹Wo liegt Telč?›
    ‹In Südmähren. Hab ich doch gesagt. Richtung Brno. Auf halbem Weg zwischen Prag und Brno.›
    ‹Warst du schon in Telč?›
    ‹Ja. Ich hab den Bauern in Studená besucht, bei dem mein Vater gewohnt hat.›
    ‹Tschechen?›
    ‹Tschechen. Sie sprachen auch Deutsch.›
    ‹Und?›
    ‹In Studená gibt es schöne Teiche. Kann man baden und angeln.›
    ‹Du meinst, ich könnte auch bei Satrapa arbeiten?›
    ‹Nein. Du könntest bei dem Bauern arbeiten, den ichbesucht hab. Wo mein Vater gewohnt hat. Und wohnen könntest du bei dem auch.›
    ‹Wie soll ich den finden?›
    ‹Ich schreib dir den Namen und die Adresse auf.›
    «‹Ich überleg’s mir.›»
    Hlaváček sagte. «Haben Sie sich das überlegt?»
    «In ein südmährisches Dorf ziehen? Oder Küchenjunge in Prag bleiben. Nach Deutschland zurückgehen? Nein. Nach Paris? Nein.
    Ich hatte kein Geld und sprach nur Russisch, Deutsch und Schulenglisch. Meine Lage war verzweifelt.
    Wo konnte ich Geld verdienen? Wo konnte ich mich verständigen?
    Wo konnte ich wieder studieren? Ich war im sechsten Semester, als ich von Berlin fortging.
    Geld konnte ich nirgends genug verdienen, um studieren zu können.
    Verständigen

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