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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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gegen den König verteidigt hat.›
    Was das heiße.
    Er habe sich geweigert, dem König zu verraten, was die Königin gebeichtet hatte.
    ‹Ein großer Mann›, sagte Aline. ‹Das Beichtgeheimnis darf nie verletzt werden.›
    Wir wanderten auf den Hradschin und sahen alle die Herrlichkeiten.
    Aline meinte, so etwas gebe es in Berlin nicht.
    Wir gingen in den Veitsdom. Aline blieb vor Staunen stumm. Vor dem Hochchor mit den farbigen Glasfenstern aber rief sie leise, noch nie habe sie solche Schönheit gesehen.
    Tag für Tag sahen wir etwas Schönes. Und Tag um Tag nahmen wir voneinander Abschied.
    Ich hatte Aline am Anfang unserer Woche gesagt, daß ich nach Amerika gehen wolle. Sie hatte mich groß angesehen und hatte gesagt: ‹Dann besuche ich dich in Amerika.›
    Am Ende der Woche brachte ich Aline zum Hauptbahnhof. Wir hielten einander lange fest. Sie sagte zu sich: ‹Nicht weinen.›
    Sie winkte aus dem Abteilfenster. Ich winkte, bis der Zug nicht mehr zu sehen war.»
    «Haben Sie Aline wiedergesehen?»
    «Nein.»
    «Kam Antwort von Chodassewitsch? Von Kerenski?»
    «Chodassewitsch antwortete Ende September. Auch Kerenski antwortete. Das war im Dezember. Ihnen, vor allem Kerenski, verdanke ich es, daß ich ein Stipendium für ein Vollstudium und ein Visum für die USA bekam. Und natürlich verdanke ich es dem Kulturattaché der Prager U S-Botschaft , der alles auf den Weg gebracht hat. Seinen Namen sollte ich nicht nennen, hat er mir damals   … befohlen. Er riet mir, in den Stipendienantrag zu schreiben, ich wolle Politische Wissenschaften studieren.Er meinte, bei meinem Namen würde das den Antrag befördern. Später könnte ich sagen, ich hätte mich schließlich für Biologie entschieden. Die Bewerbung um das Stipendium formulierte er. Mein Englisch hätte dazu nicht gereicht. Ich mußte nur unterschreiben.
    Studiengebühren, Krankenversicherung, Lebenshaltungskosten – und Reisekosten: Die Zusage traf Ende Februar Vierunddreißig in Prag ein.
    Der Kulturattaché buchte für mich eine Schiffskarte von Cherbourg nach New York.
    Ich sagte: ‹Und wie komme ich nach Cherbourg?›
    ‹Mit der Bahn natürlich. Die Fahrkarte buche ich Ihnen auch. Ist alles im Stipendium enthalten. Dazu ein Taschengeld für die Reise.›
    Die Bahnfahrt sollte nicht durch Deutschland führen, obwohl es der kürzeste Weg gewesen wäre. Immerhin war ich der Berliner Universität die gestundeten Studiengebühren und Vorlesungshonorare schuldig. Also über Österreich und Italien nach Frankreich. Aber nicht über Wien, weil es dann über München nach Mailand gegangen wäre. Sondern von Prag nach Salzburg, von Salzburg nach Zürich, von Zürich über Basel, Strasbourg, Paris nach Cherbourg.
    Ich weiß nicht, ob das die günstigste Route war, aber der Kulturattaché hatte sie gebucht. Ich war sehr lange unterwegs: von Prag bis Salzburg zwölf Stunden, von Salzburg bis Zürich sechs Stunden, von Zürich bis Cherbourg dreizehn Stunden, wobei ich von Paris Est bis Paris St.   Lazare mit der Metro fahren mußte. Im ganzen ungefähreinunddreißig Stunden Bahnfahrt. Ich kam erst am Tag nach meiner Abreise aus Prag in Cherbourg an.
    In Paris hätte ich Station machen können, um Mama und Chodassewitsch zu besuchen. Aber ich mußte in Cherbourg das Schiff erreichen. Immerhin hatte ich in Cherbourg noch einige Stunden Zeit bis zur Einschiffung. Ich konnte mich in der Stadt umsehen.
    Es war Anfang März Vierunddreißig.
    Ich ging an Bord. Als das Schiff ablegte, stand ich an der Reling. Ich verließ Europa und mußte an Bunin denken. Im Dezember Dreiunddreißig hatte ich im Prager Tagblatt gelesen: Nobelpreis für Iwan Bunin. Erstmals an einen russischen Schriftsteller!
    In New York fühlte ich mich vollkommen fremd, aber glücklich.»

VIERTER TAG AUF SEE
    12.   September 2005
     
    Kokoschkin wachte nicht auf. Zum ersten Mal nahm er im Schlaf das Motorengeräusch und das leichte Rollen des Schiffes wahr. ‹Bei mir biste scheen› ging nicht aus seinem Kopf. Er öffnete die Augen, als er die Stimme des Kabinen-Stewards hörte: «Herr Professor, alles in Ordnung?»
    «Nein. Wie spät ist es?»
    «Gleich Lunchtime.»
    Kokoschkin richtete sich auf. «Danke.»
    Der Steward ging.
    Die Vorstellung, in der Kabine eines Ocean-Liners, mitten auf dem Atlantik, im Schlaf zu sterben, konnte er nicht vertreiben. Im Leichen-Kühlraum aufbewahrt, in New York im Sarg von Bord gebracht zu werden.
    Und niemand, der zu benachrichtigen wäre. Wohin mit dem

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