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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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Sarg?
    Kokoschkin duschte und kleidete sich sorgfältig an. Zum Lunch wollte er gehen.
     
    Er war als erster am Tisch. Nach ihm kamen Sachnowski, Olga Noborra, Frank und Lucy und Oakley.
    Auf Kokoschkins Blick antwortete Oakley: «Es gab leider keinen anderen Tischplatz.»
    «Ja, leider», sagte Lucy.
    «Sie werden wohl oder übel miteinander auskommen müssen», sagte Olga Noborra. Zu Kokoschkin sagte sie: «Sie sehen angestrengt aus.»
    Er beugte sich zu ihr und sagte leise: «Eine unerwartete Schwäche.»
    «Essen Sie eine Tomatensuppe und ein Spanisches Omelett, damit Sie wieder zu Kräften kommen.»
    «Ich weiß nicht.»
    Er bestellte eine Tomatensuppe und ein Spanisches Omelett.
    Oakley sagte zum Kellner: «Für mich zuerst ein Glas Champagner. Zur Feier des Tages.»
    «Feiern Sie heute Geburtstag?» fragte Sachnowski.
    «Ich nicht. Aber Europa.»
    Der Kellner brachte ein Glas Champagner. Oakley nahm das Glas und sagte: «Ich trinke auf König Jan Sobieski und auf Herzog Karl von Lothringen.»
    «Helfen Sie mir auf die Sprünge», sagte Olga Noborra.
    «Zwölfter September Sechzehnhundertdreiundachtzig. Die Osmanen vor Wien. ‹Wien ist wie ein goldener Apfel. Wer ihn besitzt, hat sich das Tor nach dem Westen geöffnet.› Wien! Für die Osmanen das Symbol christlicher Macht. Die wollten sie zerschlagen.»
    «Langsam, Herr Oakley», sagte Sachnowski. «Woher kamen die Türken.»
    «Über Ungarn. Wo sie entlangzogen, blieb verbrannte Erde. Sie kamen mit hundertsiebzigtausend Soldaten,Türken und Tataren. Im Juli hatten sie Wien eingeschlossen. Zwei Monate haben sie die Stadt belagert. Es herrschte Hunger, und die Ruhr ging um. Die Munition wurde knapp. Wien wartete verzweifelt auf Hilfe. Der Anführer der Osmanen war Großwesir Kara Mustafa Pascha. Ein prahlsüchtiger und gieriger Gernegroß.»
    «Wer sollte denn den Wienern helfen», fragte Sachnowski.
    «Der Polenkönig Jan Sobieski und die Fürsten des Heiligen Römischen Reiches. Die hatten zusammen fünfundsiebzigtausend Soldaten und hundertfünfzig Kanonen. Die Osmanen mehr als doppelt so viel.»
    «Die christlichen Heere waren also unterlegen», sagte Sachnowski.
    «Nur zahlenmäßig. Nicht taktisch. Die Osmanen erwarteten den Angriff der Christen von Süden her. Der großsprecherische Kara Mustafa hatte nicht bedacht, daß die anrückenden christlichen Heere in aller Stille den Wiener Wald durchqueren könnten. Das taten sie. Sie bezogen Stellung auf dem Kahlenberg.»
    «Ich kenne die Gegend», sagte Kokoschkin.
    «Am zwölften September fiel das polnische Heer in den Rücken der Osmanen, und Karl von Lothringen zerschlug ihren schwachen rechten Flügel. Die Türken und Tataren ließen ihr Lager zurück und vergaßen sogar die Fahne des Propheten Mohammed. Eine schwere Sünde. Wien war gerettet, und Europa blieb das christliche Abendland.» Oakley griff noch einmal zum Glasund sagte: «Dank Jan Sobieskis und Karls von Lothringen.»
    «So genau wußte ich das alles nicht», sagte Olga Noborra. «Was passierte dann?»
    «Jan Sobieski schickte die Fahne des Propheten an den Papst mit der Botschaft ‹Wir kamen, wir sahen, Gott siegte›. Erst zehn Kilometer hinter Wien konnte Kara Mustafa die Reste seiner Truppen sammeln und nach Ungarn zurückführen.»
    «Und?»
    «Weil er gegen ein viel kleineres Heer verloren und die Heilige Fahne des Propheten zurückgelassen hatte, wurde Kara Mustafa im Dezember Sechzehnhundertdreiundachtzig erdrosselt, auf Befehl von Sultan Mehmed dem Vierten.»
    «Wir kennen sehr nette Türken», sagte Lucy. «Einer hat uns sogar zum Tee eingeladen.»
    Kokoschkin fürchtete, Oakley werde wieder ausfällig werden, aber Oakley blieb ruhig. Er blickte Lucy ins Gesicht.
    «Der Herr Türke bat uns, die Schuhe auszuziehen. Er führte uns ins Wohnzimmer, wo wir auf der Couch Platz nahmen. Kurze Zeit später ging die Tür auf. Seine Frau brachte Teetassen und eine Teekanne. Sie goß uns und ihrem Mann Tee ein, ging rückwärts zur Tür und verließ das Zimmer.
    Der Herr Türke erzählte uns, daß er fünfundzwanzig Jahre in einer Fabrik gearbeitet habe. Schicht. Jetzt sei er krank. ‹Herz bumm bumm kaputt›, sagte er.»
    «Du hast etwas vergessen», sagte Frank.
    «Muß das sein?»
    «Ja. Als die Frau des Herrn Türken ins Zimmer kam, da bin ich aufgestanden, um sie zu grüßen. Nachdem sie das Zimmer wieder verlassen hatte, sagte ihr Mann zu mir: ‹Mußt du nicht aufstehen. Frau›.»
    «Er hat uns zu einem Bade-Urlaub in sein Haus in

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