Koks und Karneval
konnte.
Rücksichtslos bahnte sich Petrus seinen Weg durch die Menschenmassen, die wie jeden Samstagvormittag die Severinstraße heimsuchten und ganze Ladenzeilen leerkauften, rannte zwei der verhaßten Pänz über den Haufen, trat einem Dackel auf den Schwanz und blieb schließlich an der St.-Severins-Kirche stehen, wo er erst mal die fünf Kölsch los wurde, die er sofort nach seiner Freilassung gekippt hatte.
Es war durchaus kein Zufall, daß Petrus, während er sich Erleichterung verschaffte, einige verstohlene Blicke in die Runde warf.
Seit seiner überraschenden Entlassung aus dem Polizeigewahrsam klebten Kaminskis Drogenfahnder an seinen Fersen; schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite, mit einer Clownsmaske notdürftig getarnt, lauerte Kriminalkommissar Jupp Heppekausen, und das Arschloch von Röhrich konnte auch nicht weit sein.
Petrus grinste häßlich.
Zweifellos hofften die Bullen, daß er sie zu Bernie Barnovic führte. Zweifellos hofften sie, ihn noch einmal mit einer Knarre zu erwischen – am besten genau in dem Moment, in dem er Barnovic die wohlverdiente Kugel zwischen die Augen jagte – und ihm für den Rest seines Lebens den Spaß an Koks und Karneval zu verderben.
Aber er war schon zu lange Profidealer, um sich von ein paar Beschattern einschüchtern zu lassen.
Pfeifend schlenderte er über den Severinskirchplatz und erreichte ein paar Schritte weiter die Pizzeria Bajazzo. Von außen wirkte die Pizzeria kaum größer als ein Kiosk, aber die Räumlichkeiten erstreckten sich bis zur Parallelstraße, dem Ferkuluum, und im Ferkuluum gab es einen zweiten Ausgang.
Es war der ideale Fluchtweg.
Wahrscheinlich würden die Bullen nicht das Risiko eingehen und ihm ins Bajazzo folgen, sondern draußen auf ihn warten. Wenn sie annahmen, daß er sich den Bauch mit Pasta vollschlug, konnte er mit etwas Glück einen Vorsprung von einer halben Stunde herausschinden. Zeit genug, um sich unbeobachtet eine neue Knarre zu besorgen und in der Südstadt unterzutauchen.
Petrus stieß lässig die Tür der Pizzeria auf, wartete, bis sie zugefallen war und er den Blicken von draußen entzogen war, stürzte an der Theke vorbei in den ersten Speiseraum, hetzte durch den schlauchartigen Korridor, erreichte den zweiten, zum Ferkuluum hin gelegenen Speiseraum, riß die Tür auf, sprang auf die Straße und rannte weiter.
Erst als er fast den Alteburger Platz erreicht hatte, blieb er keuchend stehen.
Abgehängt! dachte er. Und jetzt die Knarre!
Wenn es in der Domstadt einen Ort gab, wo man zu jeder Tages- und Jahreszeit eine Knarre kaufen konnte, dann war es das Radau em Veedel.
Beschwingt lenkte Petrus seine Schritte Richtung Bonner Straße. Einen Block vor der Kneipe kam er wieder an der Streusalzkiste vorbei, in die er letztes Jahr Karneval Bernie Barnovic eingesperrt hatte, um ihn an die Zahlung seiner Schulden zu erinnern. Wie schon so oft verfluchte er sich, weil er in seiner Gutmütigkeit Barnovic zwei Tage später wieder befreit hatte.
Für diesen abgewrackten, durchgedrehten Doper konnte es gar kein besseres Grab geben … Wenn er ihn aufgespürt, gequält und umgelegt hatte, würde er Bernie in der Streusalzkiste zur letzten Ruhe betten, schwor sich Petrus.
Pfeifend stiefelte er weiter, schlug im Vorbeigehen mit der Faust auf die Kiste und fragte sich beiläufig, wo Barnovic in diesem Augenblick wohl stecken mochte.
»O je, o je, o je!« ertönte in diesem Moment eine dumpfe, kläglich klingende Stimme aus dem Nichts.
Petrus fuhr zusammen. »Hat da jemand was gesagt?« Hastig sah er sich um. Nichts. Weit und breit keine Menschenseele.
»Hallo? Ist da jemand?« meldete sich die Stimme erneut, diesmal hoffnungsvoller. »Hallo? Wenn da jemand ist – ich bin hier! Ich brauche dringend Hilfe!«
»Wie? Was? Wo?«
»Gott sei Dank!« rief die gespenstische Stimme. »Bitte, helfen Sie mir! Retten Sie mich! Befreien Sie mich! Hier bin ich! In der Kiste!«
Petrus starrte die Kiste an. Entweder litt er an der großartigsten Post-Kokain-Halluzination, die ein Mensch überhaupt haben konnte, oder in der Kiste saß tatsächlich jemand und wollte raus.
»Bitte«, winselte es aus der Kiste. »Befreien Sie mich! Ich gebe Ihnen alles, was ich habe!«
Petrus runzelte die Stirn. Die Stimme kam ihm vage bekannt vor, war aber zu dumpf, als daß er sie zweifelsfrei erkennen konnte. Immerhin wollte sie ihm alles geben, was sie hatte, und das war ein Angebot, das ein Mann wie Petrus einfach nicht ausschlagen
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