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Koks und Karneval

Koks und Karneval

Titel: Koks und Karneval Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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IM HAUPTBAHNHOF und den verschwundenen Kokskoffer gelesen. Aber wie sollte ausgerechnet dieser bescheuerte Zwerg mit der Antenne auf dem Kopf in den Besitz des Koffers gekommen sein?
    »Drei Kilo?« sagte Killer gedehnt. »Etwa die drei Kilo, die gestern dem Kolumbianer im Hauptbahnhof geklaut worden sind? Meinst du diese drei Kilo, Arschgesicht?«
    »Genau die meine ich«, bestätigte Bernie. Er entspannte sich ein wenig. »Na, was ist? Kommen wir ins Geschäft? Es gibt noch andere Interessenten, und …«
    »Wo ist der Koffer jetzt, Arschgesicht?« fragte Killer lauernd.
    Bernie witterte Gefahr. »Oh, das kann ich natürlich nicht sagen. Aber wenn wir ins Geschäft kom …«
    Killers Würgegriff erstickte den Rest seiner Worte. Bernies Gesichtsfarbe wechselte von Grün zu Blau und dann zu Violett, seine Augen quollen hervor, und seine Antenne wippte im Todeskampf. Killer und Scarface beobachteten es mit Wohlgefallen. Als Bernie auch noch das Röcheln einstellte, lockerte Killer den Griff ein wenig, schnippte die Asche von der Havanna und tippte die Zigarettenglut aufmunternd gegen Bernies Nasenspitze.
    »Wo ist der Koffer, Arschgesicht?«
    Bernie wimmerte.
    Die Glut näherte sich seinem rechten Auge.
    Bernie kreischte.
    »Wenn du mir mit deinem Auge die Havanna versaust, Arschgesicht, mach’ ich dich fertig. Also, wo ist der Koffer?«
    »Tommy hat den Koffer«, sprudelte Bernie hervor. »Er hat ihn bei sich zu Hause, ehrlich, ich hab’ nichts damit zu tun, ich bin doch nur der Kurier, Mann, nur der Kurier!«
    Killer steckte die Havanna wieder in den Mund, klopfte Bernie väterlich auf die Schulter, daß er fast vom Tisch kippte, und knurrte: »Okay, Scarface, schnapp dir ein paar von den Jungs und schaff Tommy Zet und den Koffer her – notfalls auch ohne Gewalt.«
    »Is’ gebongt, Präsident. Aber wat is’, wenn der beknackte Zwerg gelogen hat oder sein Kumpel ausgeflogen is’?«
    Killer grinste tückisch. »Dann stecken wir ihn in die leere Streusalzkiste an der Ecke und warten, bis er mit der Wahrheit rausrückt oder anfängt zu stinken.«
    Das war der Moment, in dem Bernie Barnovic zu beten begann.
    Er betete immer noch, als sich eine halbe Stunde später über ihm der Deckel der Streusalzkiste schloß und rasselnd verriegelt wurde. Aber Gott hatte schon im letzten Jahr seine Gebete nicht erhört.
    Wieder in der Kiste, dachte Bernie deprimiert. Genau wie im letzten Jahr. Was für ein Karneval! Was für ein Leben!

 
     
Samstag
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    »Mer wäde met denne Spetzbove nit fädich.«

 
9
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    Am Samstag morgen neun Uhr früh endete die bleierne Zeit der katerbedingten Karnevalsmüdigkeit – all die Jecken und Wiever, die sich mit brummenden Köpfen und schwarzgeränderten Augen mehr tot als lebendig durch den Freitag geschleppt hatten, zogen frisch geschminkt und kostümiert zum nächsten Höhepunkt des Fastelovends: dem traditionellen Biwak der Roten Funken auf dem Neumarkt.
    Ganz Kölle schien sich auf dem großen Platz versammelt zu haben. Zehntausende drängten sich in den Bierzelten, schunkelten im U-Bahn-Komplex oder sangen in der Schildergasse, die sich von einer Einkaufshölle in ein Narrenparadies verwandelt hatte.
    Unter Trommelschlägen und Fanfarenklängen marschierten die Abordnungen der Karnevalsgesellschaften auf dem Neumarkt ein. Der Jubel kannte keine Grenzen. Die Prinzengarde schleppte Fässer Freibier an, die Blauen Funken zeigten sich von ihrer blauesten Seite, die Grünröcke von der Ehrengarde ließen ihren Schlachtruf »Rubbedidupp« aufbrausen, das Reiterkorps Jan von Werth galoppierte mit Steckenpferden durch die Menge, und die Tanzmariechen und Roten Funken erhitzten sich beim Stippeföttche wibbeln [7] .
    Und als dann Seine Tollität Prinz Ottokar I. das Narrenzepter schwenkte, der Oberbürgermeister schwankend seine Fastelovendsmötz [8] verlor und die Krageknöpp Dat Leed vum lecker Kölsch anstimmten, da sangen und schunkelten die jecken Massen, als hätten sie ihr Lebtag nichts anderes getan.
    Wohin man auch schaute, wohin man auch sah – der Neumarkt war ein einziges Lachen.
    Nur Tommy Zet lachte nicht.
    Mit eingedrücktem Hut, geknicktem Rotor, gesplittertem Blaulicht und müde winselnder Sirene saß er am Fuß der U-Bahn-Treppe auf dem Kokskoffer, trank Schnaps aus der Flasche und versuchte sich ohne großen Erfolg an die Ereignisse der vergangenen Nacht zu erinnern. Nach sechsunddreißig Stunden permanenten Koksens war nicht nur sein Hubschrauberhut, sondern

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