Koks und Karneval
konnte.
Er trat an die Kiste und zerrte an der Kette, mit der der Deckel gesichert war. Die Kette war stabil, aber Regen und Streusalz hatten das Vorhängeschloß rosten lassen; ein kräftiger Ruck genügte, und es sprang auf.
Petrus klappte den Deckel hoch und steckte den Kopf in die Kiste. Ein satanisches Grinsen verzerrte sein Gesicht.
»Hallo, Bernie«, sagte er.
Während Petrus in die Streusalzkiste stieg und den Deckel zuklappte, um sich mit Bernie Barnovic ungestört über die Schulden, den Kokskoffer und den Tod zu unterhalten; während Tommy Zet im schwarztapezierten Hinterzimmer des Radau em Veedel seine schwärzeste Stunde erlebte und unter der Folter alles verriet, was ihm nur einfiel; während die Kommissare Heppekausen und Röhrich mit zunehmender Nervosität und abnehmender Hoffnung vor der Pizzeria Bajazzo darauf warteten, daß Petrus wieder herauskam und sie vor dem gerechten Zorn ihres Vorgesetzten rettete; während der völlig ahnungslose Totengräber Egon Matschke mit dem Kokskoffer in der Hand und dem 20-Liter-Kölschfaß unter dem Arm über das Funken-Biwak auf dem Neumarkt wankte, auf der Suche nach dem spurlos verschwundenen Rettungshubschrauber und einem neuen Karnevalsflirt … während all dies und noch viel mehr geschah, verließ Christiane Hylf wutschnaubend ihr Rheinblickapartment im Colonia- Hochhaus, bestieg ihren metallicschwarzen Porsche 911 und brauste Richtung Altstadt, um sich auf grausamste und gemeinste Weise an Spider, diesem untreuen Hundesohn, zu rächen.
Und Christiane Hylf meinte es ernst.
Die ganze Nacht über hatte sie einen Novizen, einen mächtigen, aber impotenten Wirtschaftsboß, in die Freuden der neunschwänzigen Peitsche eingeführt, doch als sie am Morgen erhitzt und voller Tatendrang in ihr Rheinblickapartment zurückgekehrt war, hatte sie statt Spider nur noch seine löchrigen, uralten Wollsocken und einen Kassenbon von Sandra’s Sockenkiste vorgefunden – mit dem vielsagenden Kürzel L.m.a.A. – ha, ha! Spider auf der Rückseite.
Die Bedeutung dieser hastig hingekritzelten Notiz war klar: Spider wollte noch heute Nina und Susi Infernale heimsuchen, sich seinen Anteil am Kokskoffer erpressen und ein neues Leben in neuen Socken beginnen – und das ohne seine Liebste, die ihm in all den Jahren sein süßes Nichtstun finanziert hatte.
Alles hätte sie ihm verzeihen können: seinen Egoismus, seinen gefühlskalten Abschiedsbrief, die Leere, die er in ihrem Leben hinterlassen hatte, aber nicht die Sache mit den neuen Socken.
Jetzt blieb ihr nur noch die Rache, und ihre Rache würde fürchterlich werden.
Außerdem brauchte sie jetzt eine ordentliche Dosis Kokain und eine harte Hand, um den Schock zu mildern. Mit ein wenig Glück würde sie in Mario Luis Barreras Altstadtwohnung alles bekommen, was sie brauchte.
Christiane Hylf gab entschlossen Gas und brauste mit hundertfünfzig bei Rot über die nächste Kreuzung, ohne sich um die jecken Omas aus dem nahen Altersheim zu kümmern, die gerade die Straße überqueren wollten. Erstens gehörten Rentner sowieso nicht auf die Straße, sondern auf den Friedhof, zweitens war sie farbenblind, und drittens war Karneval, und als echte Kölnerin nahm sie im Karneval das Leben eher von der heiteren Seite.
Zehn Minuten später hatte sie die Altstadt erreicht, ihren Porsche im absoluten Halteverbot abgestellt und stöckelte auf ihren zwanzig Zentimeter hohen Pfennigabsätzen Barreras Haus entgegen.
In diesem Moment wäre Jorge Gabriel Lorcaz fast aus dem Fenster gefallen.
Seit Stunden lauerte er in seiner Rambo-Verkleidung, komplett mit Fallschirmspringerstiefeln, Armeehose, Handgranaten und Sturmgewehr, hinter der Wohnzimmergardine von Barreras luxuriöser Altstadtwohnung, beobachtete ungeduldig die Straße und wartete auf ein Lebenszeichen von El Diablo alias Charly Hoballa oder seines Landsmanns und entfernten Verwandten Mario Luis Barrera.
Seine Geduld war definitiv erschöpft.
Barrera war Freitag abend mit den Worten, eine Schachtel Zigaretten holen zu wollen, verschwunden und nicht wiederaufgetaucht, und El Diablo hatte sich seit seinem ermutigenden Kurzbesuch an Weiberfastnacht nicht mehr blicken und nur noch telefonisch von sich hören lassen.
Jorge Gabriel Lorcaz war an telefonischen Durchhalteparolen nicht interessiert. Außerdem zerrte die Tatenlosigkeit mehr an seinen Nerven, als allen Beteiligten guttun konnte. Noch immer gab es keine Spur von dem Kokskoffer oder den beiden fulanas, die ihn
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