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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Vorstellungsgespräch in Bergers Büro vor rund zwei Monaten. Berger war nett gewesen, hatte mit Karl über dessen Aufenthalt in Costa Rica geplaudert, hatte einige intelligente Fragen bezüglich Orchideen gestellt, hatte sich ganz als lockerer und moderner Chef präsentiert. Sicher, er war Karl ein klein wenig lächerlich vorgekommen, in seinem schicken Anzug, den er mit aus der Hose hängendem Hemd trug, ohne Krawatte, mit teuren Turnschuhen. Lächerlich, aber nicht ungut. Nach zwei Wochen in seinem neuen Job hatte Karl dann den anderen Berger kennen gelernt, den Mann mit einer Vision. Den Mann, der mit entrücktem Blick durch die Gänge schwebte, nichts und niemanden außer sich selbst wahrnahm und alles nur als Mittel zum Zweck betrachtete, auch Menschen, und dieser Zweck, der die Mittel heiligte, hieß
Patrick Berger ganz oben
.
    Karl setzte sich ein wenig auf und drehte den Kopf. Kollaritz starrte ihn an. „Ich bin kein Feigling“, sagte Karl, leise, aber mit Nachdruck.
    â€žWie würdest du dein Verhalten denn erklären?“
    â€žIch habe eine Mission.“
    â€žEine Mission?“
    Karl dachte nach, eingehüllt in Musik, die über seinen Körper strich wie ein warmer Abendwind. „Ich hab’s ihm versprochen“, sagte er schließlich.
    â€žDiesem Kubaner?“, fragte Kollaritz und verzog das Gesicht.
    Karl nickte und kratzte sich am Hals. „Rocín. Ich hab ihm mein Versprechen gegeben.“ Dann schnappte er sich seinen Regenmantel und legte ihn über seinen Unterarm. „Ich möchte gehen“, sagte er.
    â€žHör mal“, sagte Kollaritz, „nimm das nicht so ernst, was ich …“
    Karl winkte ab. „Schon gut. Schlamm drüber, wie wir in Costa Rica immer gesagt haben. Ich hab einen anstrengenden Tag hinter mir und will nur noch ins Bett.“
    Kollaritz nickte und winkte der Kellnerin. Karl nieste, wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und nieste erneut.
    â€žHat dir der Firmenarzt keine Tabletten gegen den Nies- und Juckreiz gegeben?“, fragte Kollaritz.
    â€žDoch“, sagte Karl und fischte eine zerknautschte Kartonschachtel aus der Gesäßtasche seiner Jeans.
    Kollaritz befingerte die Schachtel mit ungläubiger Miene. „Mein Gott, das ist ja uralt. Hismanal. Dieses Medikament ist seit Jahren nicht mehr auf dem Markt. Welcher Arzt gibt dir so etwas?“
    â€žEin netter“, sagte Karl und lächelte.
    Kollaritz nahm die Schachtel und warf sie in den Aschenbecher. „Komm kurz mit in meine Praxis, dann geb ich dir was Anständiges, Zyrtec oder Clarytin.“
    â€žIst schon in Ordnung“, sagte Karl, „wirklich“, und griff nach der Schachtel.
    Kollaritz klopfte ihm auf die Finger und sagte: „Ich bestehe darauf.“
    Karl seufzte. „Von mir aus.“
    Die Kellnerin erschien. Sie strich sich die Dreadlocks aus dem Gesicht, warf einen Blick auf ihren Block und sagte: „Drei Achtel weiß und eine Frucade, das macht …“
    â€žIch zahl zwei Achtel“, sagte Kollaritz.
    Die Kellnerin rechnete. „Macht …“
    â€žMoment mal“, sagte Karl. „Ich hab nur eine Frucade getrunken.“
    â€žUnd ein Achtel weiß“, sagte Kollaritz.
    â€žDas hab ich nicht bestellt.“
    â€žIch hab hier drei Achtel weiß und eine Frucade stehen“, sagte die Kellnerin und pochte mit dem Kugelschreiber ungeduldig auf den Block.
    â€žIch zahl eine Frucade“, sagte Karl. „Die drei Achtel gehen auf ihn.“ Er deutete auf Kollaritz.
    â€žIch …“
    â€žDu hast mich eingeladen“, sagte Karl.
    â€žIch hab dich nicht eingeladen.“
    â€žDu weißt genau, dass ich keinen Wein trinke. Ich mag Wein nicht mal.“
    â€žDeshalb hast du ja auch nur ein Achtel getrunken“, sagte Kollaritz.
    â€žEs ist wirklich witzig, euch zuzuhören“, sagte die Kellnerin, „aber ich hab auch noch was anderes zu tun.“ Sie blickte von Karl zu Kollaritz. „Okay, wer bezahlt das dritte Achtel?“
    â€žEr“, sagten beide gleichzeitig.

FÜNF
    Karl stülpte sich die Kapuze seines Regenmantels über den Kopf, schloss den obersten Druckknopf und kniff die Augen leicht zusammen. Der Regen hatte nachgelassen, war in ein dünnes Nieseln übergegangen. Die Straßen schillerten und glänzten im Licht der Autoscheinwerfer und Reklameschilder, es waren kaum Leute

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