Kolibri
unterwegs.
âGratuliereâ, sagte Kollaritz und zog den ReiÃverschluss seiner Lederjackehoch. âDu hast dich gerade wie ein Arschloch aufgeführt und dabei eins vierzig gespart.â
Karl steckte seine Linke in die Tasche und schob sein Rad einhändig weiter. âIch weià nicht, worüber du dich so aufregstâ, sagte er. âIch hätte auch zwei Achtel trinken können.â
Kollaritz wollte etwas erwidern, machte dann aber nur eine resignierte Handbewegung und schwieg. Während sie weiter Richtung Karlsplatz gingen, zuckten Blitze am Himmel auf und ein leichter Wind fuhr durch die Bäume, die den Resselpark säumten. Sie betraten die unterirdische Passage, die in hartem Neonlicht erstrahlte. Während sie an den Zugängen zur U2 und zur U4 vorbeikamen, erinnerte sich Karl an die schmierige Fressbude namens Köstli, die ein Treffpunkt für Junkies und Dealer gewesen war und die vor wenigen Jahren einem nüchternen McDonaldâs Platz machen hatte müssen. Er hatte, vor langer Zeit einmal, den Roman eines österreichischen Autors gelesen, der zum Teil hier gespielt und ihm ganz gut gefallen hatte.
Karl schob sein Rad hinüber zur Rolltreppe, Kollaritz folgte ihm mit mürrischem Gesichtsausdruck. Sie fuhren nach oben, wurden neben der Oper, die sich majestätisch in den dunklen Himmel erhob, ausgespuckt und gingen schweigend die Kärtner StraÃe Richtung Stephansdom entlang. Der Wind war ein wenig stärker geworden, dafür hatte das Nieseln beinahe aufgehört. Karl schob die Kapuze nach hinten und starrte hinauf in den Himmel, wo eben der Vollmond von den Wolken freigegeben wurde.
âWie gehtâs Monika?â, fragte Karl.
âWelche Monika?â, fragte Kollaritz erstaunt.
âDie Krankenschwester, mit der du letzte Woche bei deinen Eltern zum Essen warst.â
Kollaritz machte eine wegwerfende Handbewegung und seufzte. âDu meinst Judith.â
âJudithâ, sagte Karl. âLag mir auf der Zunge. Und, wie warâs?â
âWillst du raten?â
âWie immer?â, fragte Karl.
Kollaritz nickte.
Karl schob sein Rad an einer Bank vorbei, die um einen Baum verlief, der mitten aus dem Kopfsteinpflaster der Kärntner StraÃe ragte, und wartete. Er wusste, was für eine Geschichte er zu hören bekommen würde; er hatte sie schon oft gehört.
âZuerst lief alles ganz locker und entspannt abâ, sagte Kollaritz. âMeiner Mutter gefiel Judith, das hab ich sofort gemerkt, und mein Vater war höflich und charmant zu ihr, du kennst ihn ja. Dann, nach der Suppe, lehnt er sich zurück und fragt ganz laut: Nun, meine Liebe, mein Sohn hat mir erzählt, Sie arbeiten in einem Krankenhaus. Als Ãrztin, nehme ich an. Tja, und von da an war es nur noch schrecklich. Als er erfuhr, dass sie eine gewöhnliche Krankenschwester ist, hat er sie wie Luft behandelt.â
âHat sie dich nochmal angerufen?â, fragte Karl.
Kollaritz stieà ein freudloses Lachen aus. âNatürlich nicht. Ich habâs zweimal bei ihr versucht, aber sie geht nie ran.â
âVersuchâs ein drittes Malâ, sagte Karl und kratzte sich am Hals, der wieder zu jucken begonnen hatte.
Kollaritz schüttelte den Kopf. âVergiss es. Die Sache ist gelaufen. Zeig mir eine Frau, die meinem Vater die Stirn bietet, und du zeigst mir die Frau an meiner Seite.â
âVielleicht solltest du es wagen, die geheiligte Tradition zu brechen und nicht jede neue Freundin deinen Eltern vorstellen. Was kann schon passieren, auÃer, dass er dich enterbt?â
Kollaritz kickte einen McDonaldâs-Becher in den Eingang eines Modegeschäftes und sagte: âSpotte du nur. Du, der du dich in den Dschungel von Costa Rica verkrochen hast, um deine Wunden zu lecken.â
âRegenwaldâ, sagte Karl, âes heiÃt Regenwald, nicht Dschungel. AuÃerdem hatte das nichts mit Maria zu tun. Ich hab ein Forschungsstipendum bekommen und meine Diplomarbeit geschrieben.â Er spürte, wie sich sein Herz verkrampfte. Er wollte schlucken, aber sein Mund war trocken. Die Nachwirkungen des Rosenöls, sagte er sich. Ganz sicher.
Sie gingen am Stephansdom vorbei, der sich im Mondlicht vor dem Dunkel des Himmels deutlich abzeichnete. Am rechten Flügel krallte sich ein Baugerüst bis in halbe Höhe, Plastikplanen flatterten im Wind, das Metallgestänge glänzte feucht. Ein paar
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