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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Touristen machten Fotos mit futuristischen Kameras und Blitzlichtgeräten, die die Nacht kurzzeitig vertrieben.
    Während sie in die Rotenturmstraße einbogen, sagte Kollaritz: „Tut mir leid.“
    â€žEs muss dir nicht leid tun“, sagte Karl. „Vielleicht hast du ja Recht.“
    â€žVielleicht?“, Kollaritz lachte auf. „Diese Frau hat dich beinahe zerstört.“
    â€žNun übertreib nicht“, sagte Karl und zog den Regenmantel enger um sich. Der Mantel spannte ein wenig an den Schultern und die Ärmel waren zu kurz, aber Karl hatte es trotzdem nicht übers Herz gebracht, ihn zur Altkleidersammlung zu geben. Seine Mutter hatte ihn ihm zum zwölften Geburtstag gekauft. Das einzige Geschenk, das er je von ihr bekommen hatte.
    â€žKannst du dich an diesen Wintermorgen vor zwei Jahren erinnern?“, fragte Kollaritz.
    â€žNein“, sagte Karl und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen.
    â€žDu hattest vierzig Grad Fieber, das Fenster in deinem Zimmer stand sperrangelweit offen, Schneeflocken tanzten im Licht der Kerze und du hattest nichts weiter als einen dünnen Pyjama und eine abgewetzte Decke. Wenn ich nicht rechtzeitig gekommen wäre, hättest du dir eine Lungenentzündung geholt.“
    â€žAch komm, so schlimm war es gar nicht. Ich hatte leicht erhöhte Temperatur, das ist alles.“
    â€žGestorben wärst du, und das weißt du auch. Und es wär ihre Schuld gewesen. Sie hat vergessen, das Fenster zuzumachen.“
    Karl hob die Stimme. „Sie war in Eile, in Ordnung? Sie hatte ein Proseminar und durfte nicht zu spät kommen.“
    â€žPah“, sagte Kollaritz. „Wer hat dir Tee gemacht? Wer hat dich gezwungen, ein paar Tabletten zu schlucken? Wer hat dir eine dicke,warme Decke gebracht? Maria? O nein, Maria Eichinger hat für solch niedrige Aufgaben keine Zeit. Sie muss …“
    Karl hob die Hand. „Ich hab nie behauptet, dass sie perfekt ist.“
    Kollaritz seufzte. „Was ist bloß los mit uns beiden? Du hast das Talent, dich in die falsche Frau zu verlieben, und ich, ich finde einfach keine, die sich gegen meinen Vater durchsetzt.“
    Schließlich kamen sie zum Schwedenplatz, wo sich die Praxis von Kollaritz befand. Karl hängte sein Rad an ein schmiedeeisernes Gitter, das einen Baum kniehoch umlief, und folgte dem Arzt in den zweiten Stock. Kollaritz hatte die Praxis, Eigentum, nicht Miete, vor zwei Jahren von seinem Vater übernommen, sonst hätte er sich die Räume im noblen Ersten Bezirk nicht leisten können.
    Er machte Licht, hängte seine nasse Lederjacke auf einen mannshohen Kleiderständer aus dunklem Holz, der schon leicht schief stand, und ging in die kleine Küche, die links vom Gang abzweigte. „Häng deinen Mantel auf“, rief er Karl durch die Tür zu, „und mach’s dir drinnen bequem. Schwarz, Grün oder Pfefferminz?“
    â€žPfefferminz“, rief Karl zurück, warf den Mantel auf den Ständer, schüttelte ein paar Regentropfen aus seinem Haar und begab sich in den Ordinationsraum. Viel machte er nicht her. Der Boden bestand aus abgetretenem, graugrünem Linoleum, unter dem Fenster stand ein Metallschreibtisch mit Kunststoffplatte, an der Wand hockte ein hüfthoher Aktenschrank aus stumpfgrauem Metall. Daneben befand sich eine Liege, um die herum ein Vorhang, der von einem halbkreisförmigen Gestänge an der Decke hing, gezogen werden konnte und der im Moment als schmale Kaskade hellgrünen Stoffes aus der Wand floss. Gegenüber, an der Wand, ragte ein Kasten aus metallgefasstem Glas aus der Wand und gab den Blick auf diverse Medikamente frei. Es gab noch zwei Stühle aus hellbraunem Holz und, als einzige Konzession an das neue Jahrtausend, einen Computer samt Drucker, der auf dem völlig leeren Schreibtisch verloren und deplatziert wirkte.
    Karl ließ sich auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch nieder und blickte hinaus auf die nächtliche Stadt. Die blaue Neonreklame aufdem Dach der Uniqa-Versicherung funkelte in der vom Regen gereinigten Luft. Karl schloss die Augen und sah einen farbenprächtigen Papagei, der sich im weichen Morgenlicht des Regenwaldes aus der Krone eines Urwaldriesen gen Himmel erhob.
    â€žDas ist mein Platz“, sagte Kollaritz und stellte zwei Tassen, in denen noch die Teebeutel hingen, auf den Tisch.
    â€žWeißt du was?“, sagte Karl und schaute weiterhin aus dem

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