Kollaps
sind?
Neben den Anasazi von Chaco Canyon und Longhouse Valley, deren Schicksal wir hier nachgezeichnet haben, habe ich zu Beginn dieses Kapitels noch viele andere Gesellschaften im Südwesten Nordamerikas erwähnt - die Indianer von Mesa Verde sowie die Mimbres, Hohokam, Mogollon und andere -, die zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen 1100 und 1500 ebenfalls Zusammenbrüche erlebten, sich umstrukturierten und Wohngebiete aufgeben mussten. Wie sich herausstellt, hatten diese Zusammenbrüche und Wandlungen ihre Ursache in relativ wenigen verschiedenen Umweltproblemen und den entsprechenden kulturellen Reaktionen, wobei in den einzelnen Regionen unterschiedliche Faktoren wirksam waren. Die Waldzerstörung war beispielsweise für die Anasazi ein Problem, denn sie brauchten die Bäume, um die Holzbalken für ihre Häuser herzustellen. Viel weniger litten dagegen die Hohokam darunter, die zum Bau ihrer Häuser keine Balken verwendeten. Dafür traf die mit der landwirtschaftlichen Bewässerung verbundene Versalzung die Hohokam hart, denn sie mussten ihre Felder bewässern - im Gegensatz zu den Indianern von Mesa Verde, wo diese Notwendigkeit nicht bestand. In Mesa Verde und bei den Mogollon spielte die Kälte eine große Rolle, denn dort stellten die Temperaturen wegen der Höhenlage für die Landwirtschaft bereits ein gewisses Hindernis dar. Andere Völker des Südwestens wurden durch den sinkenden Grundwasserspiegel zugrunde gerichtet (dies galt beispielsweise für die Anasazi), oder der Nährstoffgehalt des Bodens war erschöpft (möglicherweise bei den Mogollon). Die tief eingeschnittenen Arroyos wurden für die Chaco-Anasazi zum Problem, nicht aber für die Bewohner von Mesa Verde.
Obwohl die Wohngebiete also im Einzelnen aus unterschiedlichen unmittelbaren Gründen verlassen wurden, lag die Ursache letztlich immer in der gleichen grundlegenden Schwierigkeit: Die Menschen lebten in einer empfindlichen, heiklen Umwelt und fanden dafür Lösungen, die »auf kurze Sicht« höchst verständlich und erfolgreich waren, langfristig aber versagten oder zu unlösbaren Problemen führten, weil man sich irgendwann mit natürlichen oder von Menschen verursachten Umweltveränderungen auseinander setzen musste, die in einer Gesellschaft ohne schriftlich festgehaltene Geschichte und ohne Archäologen nicht vorauszusehen waren. Ich setze die Worte »auf kurze Sicht« in Anführungszeichen, weil die Anasazi immerhin etwa 600 Jahre im Chaco Canyon lebten, beträchtlich länger, als die europäische Besetzung nach Columbus’ Landung im Jahr 1492 irgendwo in der Neuen Welt dauerte. Während der Zeit, in der es sie gab, experimentierten die verschiedenen Gruppen der amerikanischen Ureinwohner im Südwesten mit einem halben Dutzend verschiedener wirtschaftlicher Systeme. Es dauerte viele Jahrhunderte, bis man bemerkte, dass unter allen diesen Systemen nur jenes der Pueblo-Indianer »auf lange Sicht«, das heißt für mindestens 1000 Jahre, nachhaltig war. Diese Erkenntnis sollte uns heutige Amerikaner innehalten lassen. Eigentlich können wir nicht allzu zuversichtlich sein, was die Nachhaltigkeit unserer Industriegesellschaft und ihrer Wirtschaft angeht, insbesondere wenn wir bedenken, wie schnell die Gesellschaft von Chaco nach ihrer Blütezeit in den Jahren 1100 bis 1120 zusammenbrach und wie wenig plausibel die Gefahr den Chaco-Anasazi während dieses Jahrzehnts erschienen sein muss.
Betrachten wir unser System der fünf Faktoren, die zum Zusammenbruch von Gesellschaften beitragen, so spielten vier davon im Fall der Anasazi eine Rolle. Menschen hatten tatsächlich auf mehrfache Weise in die Umwelt eingegriffen, insbesondere durch Waldzerstörung und die nachfolgende Entstehung der Arroyos. Ein Klimawandel fand in Form einer Veränderung von Niederschlagsmenge und Temperatur statt, und seine Auswirkungen wirkten mit den Eingriffen der Menschen zusammen. Eine entscheidende Rolle für den Zusammenbruch spielte der Handel mit freundlich gesinnten Partnern: Die verschiedenen Gruppen der Anasazi tauschten untereinander Lebensmittel, Bauholz, Keramikgegenstände, Steine und Luxusgüter aus; auf diese Weise unterstützten sie sich gegenseitig in einer kompliziert verflochtenen Gesellschaft, setzten aber auch die ganze Gesellschaft der Gefahr des Zusammenbruches aus. Für die Aufrechterhaltung der komplexen Gesellschaft spielten religiöse und politische Faktoren offensichtlich eine entscheidende Rolle, denn durch sie wurde der Austausch von
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