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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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meiner besten Mitarbeiter aus Neuguinea gab seine Tätigkeit bei mir 1965 auf, um sich am Verzehr seines kurz zuvor gestorbenen vorgesehenen Schwiegersohnes zu beteiligen. Auch in der Archäologie hat man alte Menschenknochen häufig in einem Zusammenhang gefunden, der auf Kannibalismus schließen lässt.
    Aber da europäische und amerikanische Anthropologen in ihrer Gesellschaft mit der Vorstellung groß geworden sind, dass Kannibalismus etwas Entsetzliches ist, sind viele oder sogar die meisten von ihnen auch entsetzt über den Gedanken, dass er von Völkern praktiziert wird, die sie bewundern und untersuchen. Deshalb leugnen sie ihn und betrachten entsprechende Behauptungen als rassistische Verleumdungen. Alle Beschreibungen des Kannibalismus, die von nichteuropäischen Völkern selbst oder von den ersten europäischen Entdeckern verfasst wurden, tun sie als unzuverlässige Nacherzählungen ab; überzeugen lassen sie sich anscheinend nur durch ein Videoband, das von einem staatlichen Beamten oder - am überzeugendsten überhaupt -von einem Anthropologen aufgenommen wurde. Aber ein solches Videoband gibt es nicht, und das hat einen nahe liegenden Grund: Beim ersten Zusammentreffen mit Menschen, die den Berichten zufolge Kannibalen waren, äußerten Europäer regelmäßig ihre Abscheu und bedrohten die Betreffenden mit Verhaftung.
    Solche Einwände führten zu einer heftigen Kontroverse um die vielen Berichte über menschliche Überreste, die an den Fundstätten der Anasazi gefunden wurden und Indizien für Kannibalismus liefern. Den stichhaltigsten Beleg lieferte eine Fundstätte, an der ein Haus mit allem, was darin war, zerstört wurde. In dem Haus lagen noch die verstreuten Knochen von sieben Menschen, was dafür spricht, dass sie nicht ordnungsgemäß bestattet, sondern bei einem kriegerischen Überfall getötet wurden. Einige dieser Knochen waren auf die gleiche Weise aufgebrochen wie Tierknochen, deren Knochenmark die Menschen verzehrten. Andere hatten glatte Enden, bei Tierknochen ein charakteristisches Merkmal, dass sie in einem Topf gekocht wurden. Auf der Innenseite der zerbrochenen Töpfe selbst, die an der gleichen Stelle ausgegraben wurden, fand man Reste des menschlichen Muskelproteins Myoglobin - offensichtlich war in den Gefäßen also Menschenfleisch gekocht worden. Skeptiker könnten immer noch einwenden, wenn Menschenfleisch in Töpfen gekocht wurde und wenn Menschenknochen aufgebrochen wurden, sei dies noch kein Beweis, dass andere Menschen tatsächlich das Fleisch verzehrten (aber warum hätten sie sich sonst die Mühe machen sollen, zu kochen und Knochen aufzubrechen, die dann verstreut auf dem Boden zurückgelassen wurden?). Die unmittelbarste Spur des Kannibalismus findet sich an dieser Stelle in getrockneten menschlichen Exkrementen, die man in der Feuerstelle des Hauses entdeckte; sie sind nach fast 1000 Jahren in trockenem Klima noch gut erhalten, und man konnte beweisen, dass sie Muskelprotein von Menschen enthielten - dieses fehlt im Stuhl normalerweise selbst dann, wenn der Betreffende wegen einer Verletzung an Darmblutungen leidet. Wer auch den Ort angegriffen haben mag, höchstwahrscheinlich tötete er die Bewohner, schlug ihre Knochen auf, kochte ihr Fleisch in Töpfen, verstreute die Knochen und erleichterte sich über der Feuerstelle, nachdem er das Fleisch der Opfer tatsächlich verzehrt hatte.
    Den Todesstoß erhielt die Gesellschaft von Chaco durch eine Dürre, die den Baumringen zufolge um 1130 begann. Früher, um 1090 und 1040, hatte es bereits ähnliche Trockenzeiten gegeben, aber dieses Mal lebten im Chaco Canyon wesentlich mehr Menschen, die stärker von den umliegenden Siedlungen abhängig waren, und unbesiedeltes Land gab es nicht mehr. Die Dürre ließ den Grundwasserspiegel so weit sinken, dass die Pflanzenwurzeln ihn nicht mehr erreichten, und damit kam die Landwirtschaft zum Erliegen; auch Trocken- und Bewässerungsanbau, die vom Regen gespeist werden, wurden unmöglich. Eine Dürreperiode, die sich über mehr als drei Jahre erstreckte, musste in jedem Fall tödlich sein: Selbst heute können die PuebloIndianer ihren Mais höchstens zwei bis drei Jahre lagern, danach ist er so verdorben oder von Ungeziefer befallen, dass man ihn nicht mehr essen kann. Die Bewohner der Außenposten, die zuvor die politischen und religiösen Zentren des Chaco Canyon mit Lebensmitteln versorgt hatten, verloren zu dieser Zeit wahrscheinlich das Vertrauen in die Priester, deren Gebete um

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