Kollaps
während des größten Teils der Periode von 1549 bis 1578 auf der Halbinsel Yucatan residierte. Er beging einerseits einen der schlimmsten Akte von Kulturvandalismus in der gesamten Geschichte: Um das »Heidentum« auszurotten, ließ er alle Maya-Manuskripte verbrennen, derer er habhaft werden konnte, sodass heute nur noch vier Dokumente erhalten sind. Andererseits verfasste er aber auch einen ausführlichen Bericht über die Gesellschaft der Maya, und von einem Informanten erhielt er eine zunächst unbrauchbare Erklärung über ihre Schrift, bei der sich erst fast vier Jahrhunderte später herausstellte, dass sie doch Anhaltspunkte für die Entschlüsselung bot.
Dass wir ein ganzes Kapitel den Maya widmen, hat noch einen weiteren Grund: Es soll ein Gegengewicht zu den anderen Kapiteln über Gesellschaften früherer Zeiten bilden, in denen es unverhältnismäßig oft um kleine Menschengruppen in einer empfindlichen, geographisch isolierten Umwelt ging, wobei diese Gesellschaften auch nicht mit unserer heutigen Technologie und Kultur zu vergleichen waren. Das alles trifft auf die Maya nicht zu. Kulturell waren sie die am höchsten entwickelte (oder zumindest eine sehr hoch entwickelte) Gesellschaft der präkolumbianischen Neuen Welt, die als Einzige eine umfangreiche, bis heute erhaltene Schrift besaß und in Mittelamerika beheimatet war, einem der beiden Kernländer der Zivilisation Amerikas. Ihre Umwelt konfrontierte sie zwar durch Karstlandschaften und unberechenbar schwankende Niederschläge mit Problemen, aber im weltweiten Vergleich war sie nicht besonders auffällig, und ihre Empfindlichkeit war mit Sicherheit geringer als auf der Osterinsel, im Gebiet der Anasazi, in Grönland oder im heutigen Australien. Man sollte also nicht glauben, das Risiko eines Zusammenbruches bestehe nur für kleine, aber anständige Gesellschaften in besonders fragilen Regionen; die Maya sollten uns eine Warnung sein, dass ein solches Schicksal auch die am höchsten entwickelten, kreativsten Gesellschaften ereilen kann.
Von den fünf Punkten unseres Schemas zum Verständnis von Gesellschaftszusammenbrüchen treffen vier auf die Maya zu. Sie schädigten ihre Umwelt, insbesondere durch Waldzerstörung und Erosion. Klimaveränderungen (Dürreperioden), die sich vermutlich mehrfach wiederholten, trugen zum Zusammenbruch bei. Eine große Rolle spielten Feindseligkeiten unter den Maya selbst. Und schließlich waren kulturelle Faktoren von Bedeutung, insbesondere die Konkurrenz zwischen Königen und Adligen, die von der Lösung grundlegender Probleme ablenkte und zu einer Konzentration auf Krieg und den Bau von Denkmälern führte. Der letzte Punkt unserer Liste, der Handel mit äußeren, freundlich gesonnenen Gesellschaften oder seine Beendigung, scheint für die Aufrechterhaltung der Maya-Gesellschaft oder als Ursache für ihren Sturz keine entscheidende Rolle gespielt zu haben. Obsidian (der bevorzugte Rohstoff zur Herstellung von Steinwerkzeugen), Jade, Gold und Muschelschalen wurden zwar in das Gebiet der Maya importiert, die drei zuletzt genannten Waren waren aber Luxusgüter und als solche nicht lebenswichtig. Obsidianwerkzeuge waren im Gebiet der Maya noch lange nach dem politischen Zusammenbruch weit verbreitet, dieses Gestein war also offenbar niemals knapp.
Um die Maya zu verstehen, sollten wir zunächst ihre Umwelt betrachten, die wir uns meist als »Dschungel« oder »tropischen Regenwald« vorstellen. Diese Vorstellung ist falsch, und dass wir sie haben, hat einen wichtigen Grund. Genau genommen, gedeihen tropische Regenwälder in äquatornahen Gebieten mit starkem Niederschlag, wo es das ganze Jahr über nass oder feucht ist. Die Heimat der Maya liegt aber mehr als 1500 Kilometer vom Äquator entfernt auf 17 bis 22 Grad nördlicher Breite in einem Lebensraum, den man als »jahreszeitlichen tropischen Wald« bezeichnen würde. Das heißt, es gibt dort zwar von Mai bis Oktober eine Regenzeit, aber von Januar bis April ist es relativ trocken. Konzentriert man sich auf die feuchten Monate, kann man die Heimat der Maya als »jahreszeitlich tropischen Wald« bezeichnen. Betrachtet man dagegen vorwiegend die trockenen Monate, spricht man besser von einer »jahreszeitlichen Wüste«.
Auf der Halbinsel Yucatan steigt der Niederschlag von Norden nach Süden von 450 auf 2500 Millimeter, und auch der Mutterboden wird dicker; deshalb war der südliche Teil der Halbinsel landwirtschaftlich produktiver, und dort konnte eine dichtere
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