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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Regen nicht erhört wurden, und dann weigerten sie sich, weiterhin Nahrung zu liefern. Das Ende der Anasazi-Siedlungen im Chaco Canyon erlebten die Europäer nicht mit, aber eine gute Parallele bildet der Aufstand der Pueblo-Indianer gegen die Spanier im Jahr 1680, den Europäer genau beobachteten. Wie die Zentren der Chaco-Anasazi, so hatten auch die Spanier von den örtlichen Bauern Steuern in Form von Lebensmitteln eingetrieben, und diese duldeten die Praxis so lange, bis sie selbst wegen einer Dürre nicht mehr genug zu essen hatten; dann wurden die Abgaben zum Anlass für einen Aufstand.
    Irgendwann zwischen 1150 und 1200 wurde der Chaco Canyon praktisch völlig aufgegeben, und danach blieb das Gebiet im Wesentlichen unbewohnt, bis Schafhirten vom Stamm der Navajo es 600 Jahre später in Besitz nahmen. Da die Navajo nicht wussten, wer die großen Ruinen gebaut hatte, die sie dort vorfanden, bezeichneten sie die verschwundenen früheren Bewohner als Anasazi, was nichts anderes als »die Alten« bedeutet. Welches Schicksal erlitten die vielen tausend Bewohner des Chaco Canyon? Zieht man eine Parallele zu der historisch dokumentierten Aufgabe anderer Pueblos während einer Dürreperiode in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts, dann starben vermutlich viele Menschen an Hunger, einige brachten sich gegenseitig um, und die Überlebenden flohen in andere besiedelte Gebiete des Südwestens. Es muss sich um eine geplante Evakuierung gehandelt haben, denn in den meisten Räumen der Anasazi-Ruinen fehlen die Keramikgegenstände und andere nützliche Dinge, die man bei einem solchen geplanten Abzug mitnimmt; an der oben erwähnten Fundstätte dagegen, deren unglückselige Bewohner getötet und aufgegessen wurden, sind die Keramikgegenstände in den Zimmern noch vorhanden. Die Überlebenden schafften es, an mehrere andere Stellen zu fliehen, so zu den Pueblos im Gebiet der heutigen Zuni-Indianer; die Häuser, die man dort fand, ähneln im Baustil denen des Chaco Canyon, und sie enthielten Keramik im gleichen Stil, wie man ihn auch im Chaco Canyon aus der Zeit des Abzuges gefunden hat.
    Jeff Dean konnte zusammen mit seinen Kollegen Rob Axtell, Josh Epstein, George Gumerman, Steve McCarroll, Miles Parker und Alan Swedlund sehr genau rekonstruieren, was einer Gruppe von rund tausend Kayenta-Anasazi im Long House Valley im Nordosten von Arizona widerfuhr. Die Wissenschaftler berechneten die tatsächliche Bevölkerungszahl im Tal zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen 800 und 1350. Als Grundlage diente ihnen dabei die Zahl der ausgegrabenen Häuser mit Keramikgegenständen, deren Stil sich im Lauf der Zeit änderte, sodass sie eine Datierung der Häuser ermöglichten. Aus den Jahresringen, die Rückschlüsse auf die Niederschlagsmenge zulassen, und aus Bodenuntersuchungen sowie den daraus gewonnenen Informationen über Ansteigen und Absinken des Grundwasserspiegels berechneten sie außerdem, wie viel Mais in dem fraglichen Zeitraum jedes Jahr geerntet wurde. Dabei stellte sich heraus, dass sich im Wachsen und Schrumpfen der Bevölkerungszahl nach 800 sehr genau das Auf und Ab der berechneten jährlichen Maisernte widerspiegelte; dies galt allerdings nicht für die Zeit um 1300, als die Anasazi das Tal völlig aufgaben, obwohl zu dieser Zeit noch eine verminderte Maisernte möglich war, die zur Ernährung eines Drittels der maximalen Bevölkerungszahl (400 bei einem Spitzenwert von 1070 Menschen) ausgereicht hätte.
    Warum blieben diese letzten 400 Kayenta-Anasazi nicht im Long House Valley, als ihre Verwandten in ihrer Mehrzahl abzogen? Vielleicht war in dem Tal um 1300 nicht nur das landschaftliche Potenzial zurückgegangen, wie die Autoren es in ihrem Modell berechnet hatten, sondern es hatten sich auch andere Hindernisse für die Besiedlung entwickelt. Vielleicht war beispielsweise die Fruchtbarkeit des Bodens erschöpft, oder die früheren Wälder waren abgeholzt, sodass es in der Nähe kein Bau- und Brennholz mehr gab, wie es bekanntermaßen im Chaco Canyon der Fall war. Andererseits könnte es auch daran gelegen haben, dass komplexe Gesellschaften eine Mindestbevölkerung brauchen, weil nur dann die Institutionen aufrechterhalten werden können, die in den Augen der Bürger unentbehrlich sind. Wie viele New Yorker würden wohl noch in New York bleiben, wenn zwei Drittel ihrer Angehörigen und Freunde gerade verhungert oder geflüchtet sind, wenn weder U-Bahn noch Taxis fahren, wenn Büros und Geschäfte geschlossen

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