Kollaps
zuverlässige Kenntnisse gewinnen wollen, brauchen wir Forschungsarbeiten beider Typen. Besonders gefährlich wäre es, wenn man von einer Gesellschaft ausgehen und dann verallgemeinern würde, oder wenn man sich mit der Interpretation eines einzelnen Zusammenbruchs zu sicher wäre. Nur mit Befunden aus einer vergleichenden Untersuchung verschiedener Gesellschaften mit unterschiedlichem Schicksal kann man darauf hoffen, dass man zu einigermaßen überzeugenden Schlussfolgerungen gelangt.
Um im Voraus deutlich zu machen, in welche Richtung dieses Buch zielt, möchte ich den Aufbau kurz skizzieren. Das Ganze ähnelt einer Boa constrictor, die zwei große Schafe verschluckt hat. Oder anders ausgedrückt: Meine Erörterung der heutigen Welt und der Vergangenheit enthält jeweils einen unverhältnismäßig langen Bericht über eine Gesellschaft sowie kürzere Beschreibungen über einige weitere.
Fangen wir mit dem ersten großen Schaf an. Teil 1 besteht aus einem einzigen langen Kapitel (Kapitel 1) und handelt von den Umweltproblemen im Südwesten des US-Bundesstaates Montana, wo außer der Huls Farm auch die Bauernhöfe meiner Freunde liegen, der Familie Hirschy (der dieses Buch gewidmet ist). Montana hat den Vorteil, dass es sich hier um eine moderne Industriegesellschaft handelt, die echte, aber im Vergleich zu den meisten anderen Industriel ändern relativ geringfügige Umwelt- und Bevölkerungsprobleme hat. Vor allem aber bin ich mit vielen Bewohnern dieses Staates gut bekannt, sodass ich zwischen der Handlungsweise seiner Gesellschaft und den vielfach widersprüchlichen Motiven einzelner Menschen einen Zusammenhang herstellen kann. Wenn wir von diesem vertrauten Blick auf Montana ausgehen, können wir uns leichter die Vorgänge in abgelegenen Gesellschaften der Vergangenheit ausmalen, die uns anfangs sehr fremdartig erscheinen und bei denen wir über die Beweggründe einzelner Menschen nur Vermutungen anstellen können.
Teil 2 beginnt mit vier kürzeren Kapiteln über historische Gesellschaften, die zusammengebrochen sind; ich beschreibe sie in einer Reihenfolge der zunehmenden Komplexität vor dem Hintergrund meines Fünf-Punkte-Schemas. Die meisten Gesellschaften früherer Zeiten, die ich hier beschreibe, waren klein und lagen in irgendeiner Form am Rand - weil sie geographisch begrenzt waren, in sozialer Isolation lebten oder sich in einer labilen Umwelt befanden. Damit daraus nicht der Schluss gezogen wird, sie seien ein schlechtes Modell für die allgemein bekannten großen Gesellschaften der Neuzeit, muss ich erklären, dass ich sie genau aus dem umgekehrten Grund ausgewählt habe: In solchen kleinen Gesellschaften laufen die Prozesse schneller ab und haben extremere Folgen, sodass sie meine Aussagen besonders gut deutlich machen. Dass große, zentrale Gesellschaften, die mit ihren Nachbarn Handel trieben und sich in einem robusten ökologischen Umfeld befanden, in der Vergangenheit nicht zusammengebrochen sind und heute nicht zusammenbrechen können, stimmt nicht. Die historische Gesellschaft der Maya, die ich im Einzelnen beschreiben werde, umfasste viele Millionen Menschen, lag in einer der beiden kulturell am weitesten entwickelten Regionen des präkolumbianischen Amerika (nämlich in Mittelamerika), trieb Handel mit anderen hoch entwickelten Gesellschaften des gleichen Gebietes und wurde von diesen entscheidend beeinflusst. Im Literaturverzeichnis zu Kapitel 9 gebe ich einen kurzen Überblick über andere berühmte Gesellschaften der Vergangenheit - im Fruchtbaren Halbmond, in Angkor Wat, in Harappa im Industal und andere: sie alle ähnelten in den genannten Eigenschaften der Maya-Gesellschaft, und zu ihrem Niedergang trugen Umweltfaktoren entscheidend bei.
Unsere erste Fallstudie aus der Vergangenheit, die Geschichte der Osterinsel (Kapitel 2), kommt der Vorstellung von einem »rein« ökologisch bedingten Zusammenbruch am nächsten; die Ursachen waren die völlige Entwaldung mit der Folge, dass es zum Krieg kam; die herrschende Elite und die berühmten Steinstatuen wurden gestürzt, und ein großer Teil der Bevölkerung kam ums Leben. Soweit wir wissen, war die Gesellschaft der Osterinsel nach ihrer Gründung immer isoliert, das heißt, ihre Entwicklung wurde weder durch Feinde noch durch Freunde beeinflusst. Es gibt auch keine Anhaltspunkte, dass Klimaveränderungen dort eine Rolle spielten, aber das könnte sich bei zukünftigen Untersuchungen noch herausstellen. Mit der vergleichenden Analyse von
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