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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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so wertvoll, dass es immer wieder geschärft wurde.
    Der Eisenmangel auf Grönland wird auch an vielen Gegenständen aus archäologischen Stätten deutlich, die in Europa normalerweise aus Eisen hergestellt wurden, in Grönland aber aus anderen, häufig überraschenden Materialien. So findet man beispielsweise Nägel aus Holz und Pfeilspitzen aus Karibugeweihen. Eine isländische Chronik berichtet aus dem Jahr 1189 voller Überraschung über ein grönländisches Schiff, das nach Island abgetrieben worden war: Es war nicht mit eisernen Nägeln gebaut, sondern mit Holzzapfen, und es wurde durch die Barten von Walen zusammengehalten. Für Wikinger, deren Selbstbild sich darauf konzentrierte, Gegner mit einer riesigen Streitaxt in Angst und Schrecken zu versetzen, muss es die größtmögliche Demütigung gewesen sein, solche Waffen aus Walknochen herzustellen.
    Der Eisenmangel führte dazu, dass lebenswichtige wirtschaftliche Prozesse in Grönland mit geringerer Effizienz abliefen. Nachdem nur wenige eiserne Sensen, Beile und Scheren zur Verfügung standen, sodass man diese Werkzeuge aus Knochen oder Steinen herstellen musste, dauerte es wesentlich länger, das Heu zu ernten, ein geschlachtetes Tier zu zerlegen oder Schafe zu scheren. Auf kurze Sicht war es aber viel gefährlicher, dass die Wikinger mit dem Eisen auch ihre militärische Überlegenheit gegenüber den Inuit verloren. In anderen Regionen der Welt verschafften stählerne Schwerter und Rüstungen den europäischen Kolonialherren in unzähligen Kämpfen mit einheimischen Völkern einen gewaltigen Vorteil. Als die Spanier beispielsweise zwischen 1532 und 1533 in Peru das Inkareich eroberten, fanden insgesamt fünf Schlachten statt: Dabei metzelten kleine Verbände von 169, 80, 30, 110 bzw. 40 Spaniern jeweils Armeen von Tausenden oder Zehntausenden Inkas nieder, wobei kein einziger Europäer getötet und nur wenige verletzt wurden. Der Grund: Die stählernen Schwerter der Spanier durchtrennten die Baumwollrüstungen der Indios, und die Spanier selbst waren durch ihre Rüstungen gegen Schläge der Stein- oder Holzwaffen der Indianer geschützt. Dagegen gibt es keinen Beleg, dass die Wikinger in Grönland nach den ersten Generationen noch Waffen oder Rüstungen aus Stahl besaßen; die einzige Ausnahme ist das erwähnte Kettenhemd, das man ausgegraben hat und das möglicherweise keinem Grönländer, sondern einem Besucher von einem europäischen Schiff gehörte. Stattdessen kämpften sie genau wie die Inuit mit Pfeilen, Bogen und Lanzen. Ebenso gibt es keine Indizien, dass die Wikinger in Grönland ihre Pferde in Kämpfen einsetzten, auch dies ein entscheidender Vorteil der spanischen Eroberer in ihren Konflikten mit Inkas und Azteken; die Wikinger in Island taten es mit Sicherheit nicht. Außerdem fehlte den grönländischen Wikingern eine professionelle militärische Ausbildung. Deshalb besaßen sie gegenüber den Inuit am Ende nicht den geringsten militärischen Vorteil - was für ihr Schicksal gravierende Folgen hatte.
    Durch ihren Umgang mit der natürlichen Vegetation hatten die Wikinger also am Ende zu wenig Bauholz, Brennstoffe und Eisen. Die beiden anderen wichtigen Eingriffe, in Boden und Rasen, führten zu einer Verknappung der nutzbaren Flächen. Wie wir in Kapitel 6 erfahren haben, kam es in Island wegen der empfindlichen, leichten Vulkanböden schnell zu einer höchst problematischen Bodenerosion. In Grönland ist der Boden zwar nicht so empfindlich wie in Island, im Vergleich mit anderen Gegenden der Welt muss er aber ebenfalls als sehr anfällig gelten, denn wegen des kühlen Klimas und der kurzen Vegetationsperiode verlangsamt sich mit dem Pflanzenwachstum auch die Bodenbildung, sodass die Mutterbodenschicht dünn bleibt. Außerdem führt das geringe Pflanzenwachstum dazu, dass der Boden wenig organischen Humus enthält, einen Bestandteil, der Wasser bindet und den Boden feucht hält. Deshalb trocknet der Boden in Grönland in dem häufig sehr starken Wind leicht aus.
    Die Bodenerosion beginnt in Grönland mit dem Abholzen oder Abbrennen von Bäumen und Sträuchern, die den Boden noch besser festhalten als Gras. Sind sie verschwunden, weiden Tiere - insbesondere Schafe und Ziegen - das Gras ab, das im grönländischen Klima nur langsam nachwächst. Wenn der Grasteppich unterbrochen ist, wird der frei liegende Boden vom Wind weggetragen, und den gleichen Effekt haben auch die gelegentlichen starken Niederschläge. Das kann so weit gehen, dass der

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