Kollaps
Boden aus einem ganzen Tal über eine Entfernung von mehreren Kilometern abtransportiert wird. Wo Sand frei liegt - beispielsweise in Flusstälern -, wird er vom Wind mitgenommen und setzt sich an anderer Stelle wieder ab.
Die Bodenprofile in Bohrkernen von Seeböden belegen, dass nach der Besiedelung Grönlands durch die Wikinger eine gravierende Bodenerosion einsetzte, wobei Mutterboden und dann auch Sand von Wind und Fließgewässern in die Seen gespült wurden. An der Mündung des Qoroq-Fjordes, im Windschatten eines Gletschers, kam ich beispielsweise an einem aufgegebenen Wikingerhof vorüber, wo der starke Wind so viel Boden weggeweht hatte, dass nur noch nacktes Gestein übrig war. Auch Sandverwehungen sind auf den Wikingerhöfen häufig: Im Gebiet von Vatnahverfi sind manche Ruinen drei Meter tief darin begraben.
Neben der Bodenerosion hatten die Wikinger noch eine zweite Methode, mit der sie das Land unabsichtlich nutzlos machten: Sie stachen Rasen, den sie wegen der Holzknappheit als Baumaterial oder Brennstoff verwendeten. In Grönland bestanden fast alle Gebäude aus Rasen; im besten Fall waren die Fundamente aus Stein, und ein paar Holzbalken trugen das Dach. Selbst die Mauern der St.-Nikolaus-Kathedrale in Gardar waren nur auf den untersten zwei Metern aus Stein errichtet, darüber bestanden sie aus Rasen; Holzbalken dienten als Stütze für das Dach, und die Vorderfront war mit Holz verkleidet. Die Kirche von Hvalsey war ungewöhnlich, weil ihre Mauern in voller Höhe aus Steinen bestanden, aber auch hier war das Dach mit Rasen gedeckt. Zum Schutz gegen die Kälte waren die Rasenmauern in Grönland bis zu zwei Meter dick.
Für den Bau eines großen grönländischen Wohnhauses brauchte man nach Schätzungen ungefähr vier Hektar Rasen. Außerdem wurde diese Menge nicht nur ein Mal benötigt, denn der Rasen zerfällt allmählich, sodass ein Gebäude alle paar Jahrzehnte neu »begrünt« werden muss. Diese Rasengewinnung zu Bauzwecken bezeichneten die Wikinger als »Schälen der Außenfelder« - eine zutreffende Beschreibung für die Schädigung von Flächen, die ansonsten als Weiden nützlich gewesen wären. Und da Gras in Grönland nur langsam nachwächst, waren die Schäden langfristiger Natur.
Wiederum könnte ein Skeptiker auf solche Berichte über Bodenerosion und Rasenstechen erwidern: »Na und?« Darauf gibt es eine einfache Antwort. Wie bereits erwähnt wurde, war Grönland von allen Wikingerinseln im Nordatlantik die kälteste, auf der das Gras schon vor der Besiedelung durch die Menschen am langsamsten wuchs; deshalb war sie auch am empfindlichsten gegenüber dem Vegetationsverlust durch Überweidung, Zertrampeln, Bodenerosion und Rasenstechen. Ein Hof musste so viele Weideflächen besitzen, dass er wenigstens die Mindestzahl von Tieren ernähren konnte, mit denen man die nach einem langen Winter dezimierten Bestände vor dem nächsten Winter wieder aufbauen konnte. Nach Schätzungen musste sowohl in der Östlichen als auch in der Westlichen Siedlung nur ein Viertel der gesamten Weideflächen verloren gehen, damit die Größe der Herden unter diese Mindestgrenze sank. Genau das geschah wahrscheinlich in der Westlichen und möglicherweise auch in der Östlichen Siedlung.
Wie in Island, so sind die Umweltprobleme, unter denen die Wikinger litten, auch im heutigen Grönland noch von Bedeutung. Nachdem die mittelalterlichen Wikinger von der Insel verschwunden waren, gab es dort während der Besiedelung durch die Inuit und später unter der dänischen Kolonialherrschaft keine Viehhaltung mehr. Im Jahr 1915 schließlich, noch bevor man die ökologischen Vorgänge im Mittelalter genauer untersucht hatte, führten die Dänen versuchsweise Schafe aus Island ein, und 1924 nahm der erste hauptberufliche Schafzüchter den Hof von Brattahlid wieder in Betrieb. Man versuchte es auch mit Rinderhaltung, aber diese wurde wegen des gewaltigen Arbeitsaufwandes wieder aufgegeben.
Heute sind in Grönland ungefähr 65 Familien im Hauptberuf als Schafzüchter tätig, und das hat zur Folge, dass Überweidung und Bodenerosion erneut zum Problem werden. Bohrkerne aus grönländischen Seen zeigen, dass sich nach 1924 die gleichen Veränderungen abspielten wie nach 984: Der Baumpollen geht zurück, Gras- und Unkrautpollen nimmt zu, und es wird mehr Mutterboden in die Seen gespült. Nach 1924 ließ man die Schafe anfangs auch im Winter im Freien, wo sie selbst nach Futter suchten, wenn ausreichend mildes Wetter
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