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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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herrschte. Dies führte gerade in der Zeit, in der die Vegetation sich am wenigsten regenerieren konnte, zu Überweidungsschäden. Besonders empfindlich sind in dieser Hinsicht die Wacholderbäume, denn die werden im Winter, wenn es nichts anderes zu fressen gibt, sowohl von Schafen als auch von Pferden abgegrast. Als Christian Keller 1976 nach Brattahlid kam, wuchs dort noch Wacholder; bei meinem Besuch im Jahr 2002 sah ich nur noch abgestorbene Wacholderbäume, aber keine lebenden Exemplare mehr.
    Nachdem in dem kalten Winter 1966/67 mehr als die Hälfte der grönländischen Schafe verhungert war, gründete die Regierung auf der Insel eine Versuchsstation, um die ökologischen Auswirkungen der Schafhaltung zu untersuchen. Dazu verglich man Vegetation und Bodenqualität auf stark und schwach genutzten Weideflächen sowie auf Feldern, von denen die Schafe mit Zäunen fern gehalten wurden. An den Forschungsarbeiten wirkten auch Archäologen mit, die sich mit der Veränderung der Weideflächen in der Wikingerzeit beschäftigten. Nachdem man nun die Empfindlichkeit Grönlands besser einschätzen konnte, wurden die empfindlichsten Weideflächen eingezäunt, und man brachte die Schafe während des ganzen Winters in die Ställe, wo sie künstlich gefüttert wurden. Um die Heumenge für den Winter zu steigern, werden die natürlichen Weideflächen gedüngt, und man baut Hafer, Roggen, Wiesenlieschgras und andere Gräser an, die dort ursprünglich nicht heimisch sind.
    Trotz solcher Bemühungen ist die Bodenerosion in Grönland auch heute ein großes Problem. An den Fjorden der Östlichen Siedlung sah ich Abschnitte mit nacktem Fels und Geröll, weil die Vegetation erst in jüngster Zeit durch weidende Schafe verloren gegangen war. In den letzten 25 Jahren hat Winderosion den modernen Bauernhof, der an der Mündung des Tales von Qorlortoq an der Stelle eines alten Wikingerhofes stand, zugrunde gerichtet und uns damit ein Musterbeispiel für die Vorgänge vor 700 Jahren geliefert. Sowohl die grönländische Regierung als auch die Bauern selbst wissen, welche langfristigen Schäden die Schafe anrichten, aber sie stehen auch unter dem Druck, in einer Gesellschaft mit hoher Arbeitslosigkeit neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ironie des Schicksals: Schafzucht in Grönland zahlt sich auf kurze Sicht nicht einmal aus. Die Regierung muss jeder Schafzüchterfamilie etwa 11 000 Euro im Jahr zahlen, um Verluste auszugleichen, den Familien ein Einkommen zu sichern und sie zur Fortsetzung der Schafzucht zu motivieren.
    Eine wichtige Rolle für den Untergang von Wikinger-Grönland spielten die Inuit. Sie bildeten den größten Unterschied in der Geschichte der Normannen von Grönland und Island: Die Isländer erfreuten sich im Vergleich zu ihren Vettern in Grönland zwar auch eines weniger rauen Klimas und kürzerer Handelsrouten nach Norwegen, ihr größter Vorteil aber bestand darin, dass sie nicht von den Inuit bedroht wurden. Zumindest stellen die Inuit eine verpasste Gelegenheit dar: Die Wikinger hätten in Grönland größere Überlebensaussichten gehabt, wenn sie von den Ureinwohnern gelernt oder mit ihnen Handel getrieben hätten, aber das geschah nicht. Im schlimmsten Fall könnten Angriffe oder Bedrohungen der Inuit unmittelbar zum Untergang der Wikinger beigetragen haben. Von Bedeutung sind die Inuit aber auch deshalb, weil sie uns beweisen, dass eine lebensfähige Gesellschaft im mittelalterlichen Grönland kein Ding der Unmöglichkeit war. Warum scheiterten die Wikinger am Ende, während die Inuit Erfolg hatten?
    Heute sehen wir in den Inuit die Ureinwohner des arktischen Kanada. In Wirklichkeit waren sie das letzte von mindestens vier archäologisch bekannten Völkern, die sich quer durch Kanada nach Osten verbreiteten und im Lauf von fast 4000 Jahren vor der Ankunft der Wikinger den Nordwesten Grönlands besiedelten. Sie kamen in mehreren Wellen, blieben jeweils mehrere Jahrhunderte in Grönland und verschwanden dann, womit sie ganz ähnliche Fragen nach einem gesellschaftlichen Zusammenbruch aufwerfen wie die Wikinger, die Anasazi und die Bewohner der Osterinsel. Über diese früheren Vorgänge wissen wir jedoch so wenig, dass wir sie in diesem Buch nicht ausführlich erörtern können, sondern nur als Hintergrund für das Schicksal der Wikinger betrachten. Archäologen haben diese früheren Kulturen nach den Fundstätten ihrer Hinterlassenschaften auf Namen wie Point Independence I, Point Independence II und Saqquaq

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