Kollaps
möglich, dass eine Gesellschaft in völliger Isolation zusammenbricht, wie es früher auf der Osterinsel und in Normannisch-Grönland geschah. Wenn eine Gesellschaft sich heute im Umbruch befindet, kann sie noch so abgelegen sein - man denke nur an Afghanistan oder Somalia -, sie wird immer auch in den wohlhabenden Gesellschaften anderer Kontinente Probleme verursachen und unterliegt deren (nützlichen oder destabilisierenden) Einflüssen. Zum ersten Mal in der Geschichte droht die Gefahr eines weltweiten Niederganges. Zum ersten Mal haben wir aber auch die Gelegenheit, schnell aus Entwicklungen zu lernen, die sich irgendwo auf der Welt in anderen Gesellschaften abspielen, aber auch aus dem, was sich dort irgendwann in der Vergangenheit ereignet hat. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.
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MONTANA HEUTE
KAPITEL 1
Unter dem großen Himmel von Montana
Die Geschichte von Stan Falkow ■ Montana und ich ■ Warum zum Anfang ausgerechnet Montana? ■
Die Wirtschaftsgeschichte von Montana ■ Bergbau ■ Forstwirtschaft ■ Boden ■ Wasser ■ Einheimische und eingeschleppte Arten ■ Verschiedene Visionen ■ Einstellungen gegenüber Vorschriften 11 Die Geschichte von Rick Laible ■ Die Geschichte von Chip Pigman ■ Die Geschichte von Tim Huls ■ Die Geschichte von John Cook ■ Montana, eine Welt im Kleinformat
Mein Freund Stan Falkow ist 70 Jahre alt und Professor für Mikrobiologie an der Stanford University nicht weit von San Francisco. Als ich ihn fragte, warum er sich im Bitterroot Valley in Montana ein Ferienhaus gekauft hätte, erzählte er mir, wieso diese Entscheidung zu seiner gesamten Lebensgeschichte passte:
»Ich bin im Bundesstaat New York geboren und dann nach Rhode Island gezogen. Das heißt, als Kind hatte ich keine Ahnung von Bergen. Als ich Anfang zwanzig war und gerade das College abgeschlossen hatte, klinkte ich mich für ein paar Jahre aus der Berufsausbildung aus und arbeitete in der Nachtschicht im Obduktionslabor eines Krankenhauses. Für einen jungen Menschen wie mich, der noch keine Erfahrungen mit dem Tod hatte, war es sehr anstrengend. Ein Bekannter der gerade aus dem Koreakrieg zurückgekehrt war, sah mich an und sagte: ›Stan, du siehst nervös aus: du musst dein Stressniveau vermindern. Versuch es mal mit der Fliegenfischerei!‹
Also fing ich an, mit Fliegen zu angeln und Barsche zu fangen. Ich lernte, wie man selbst Fliegen zusammenbindet, vertiefte mich richtig hinein und ging jeden Tag nach der Arbeit zum Angeln. Mein Freund hatte Recht: Es half tatsächlich gegen den Stress. Aber dann wollte ich in Rhode Island promovieren, und damit war ich wiederum in einer anstrengenden Arbeitssituation. Ein Mitdoktorand erzählte mir, man könne mit Fliegen nicht nur Barsche fangen: Im benachbarten Massachusetts angelten sie damit auch Forellen. Also fing ich mit dem Forellenangeln an. Mein Doktorvater aß sehr gerne Fisch und ermutigte mich zu meinen Angelausflügen: Nur bei diesen Gelegenheiten runzelte er nicht die Stirn, wenn ich mir im Labor einige Zeit frei nahm.
Als ich ungefähr fünfzig war, trat in meinem Leben wiederum eine Stresssituation ein, dieses Mal wegen einer schwierigen Scheidung und anderer Dinge. Damals nahm ich mir nur noch drei Mal im Jahr die Zeit für die Fliegenfischerei. Viele Menschen überlegen anlässlich ihres fünfzigsten Geburtstages, was sie mit dem Teil ihres Lebens, der noch vor ihnen liegt, anfangen wollen. Ich dachte über das Leben meines Vaters nach, und dabei fiel mir ein, dass er mit 58 Jahren gestorben war. In einer Schrecksekunde wurde es mir klar: Wenn ich so lange leben würde wie er, blieben mir bis zu meinem Tod nur noch 24 Angelausflüge - sehr wenig für eine Tätigkeit, die ich so liebte. Nach dieser Erkenntnis dachte ich darüber nach, wie ich in den verbleibenden Jahren einen größeren Teil meiner Zeit den Dingen widmen konnte, die ich wirklich gern tat. Und eines davon war die Fliegenfischerei.
Gerade als ich so weit war, wurde ich gebeten, ein Forschungsinstitut im Bitterroot Valley im Südwesten von Montana zu begutachten. Ich war bis zu meinem vierzigsten Lebensjahr nie westlich des Mississippi gewesen. Jetzt landete ich auf dem Flughafen von Missoula, nahm mir einen Mietwagen und fuhr nach Süden in die Kleinstadt Hamilton, wo sich das Institut befand. Ungefähr zwanzig Kilometer südlich von Missoula verläuft die Straße über längere Zeit schnurgerade; der Talboden
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