Kollaps
Ende ausgewirkt haben, aber in den meisten Fällen kennen wir weder Namen noch persönliche Geschichten, und über die Motive, die sie zu ihrem Handeln veranlassten, können wir nur Vermutungen anstellen. Im Montana von heute dagegen kennen wir Namen, Biographien und Motive. Mit manchen beteiligten Personen bin ich seit über fünfzig Jahren befreundet. Wenn wir die Motive der Menschen von Montana verstehen, können wir uns auch eine bessere Vorstellung von den Beweggründen der Menschen früherer Zeiten machen. Dieses Kapitel soll einem Thema, das ansonsten vielleicht sehr abstrakt erscheint, ein menschliches Gesicht verleihen.
Außerdem ist Montana ein heilsames Gegengewicht zu den Beschreibungen in den nachfolgenden Kapiteln, die kleinen, armen, abseits gelegenen, historischen Gesellschaften und ihrer empfindlichen Umwelt gewidmet sind. Ich habe mich bewusst entschlossen, gerade diese Gesellschaften zu erörtern, weil sie am stärksten unter den Folgen ihrer Umweltschäden gelitten haben und deshalb die Prozesse, die das Thema dieses Buches sind, besonders anschaulich machen. Dass sie nicht als einzige Gesellschaften schwer wiegenden Umweltproblemen ausgesetzt sind, zeigt das Kontrastbeispiel Montana. Es gehört zur reichsten Nation der Welt, ist in diesem Land eine der urtümlichsten und am dünnsten besiedelten Regionen und hat scheinbar mit Umwelt und Bevölkerung weniger Probleme als der Rest der Vereinigten Staaten. Sicher, in Montana sind die Probleme weniger akut als in meiner Heimatstadt Los Angeles, wo die Amerikaner sich mit Übervölkerung, Verkehr, Smog, Wasserknappheit, schlechter Wasserqualität und Giftmüll herumschlagen müssen, und auch in den meisten anderen Ballungsräumen, wo ein Großteil der US-Bürger zu Hause ist, sind sie schlimmer. Wenn es in Montana dennoch Umwelt- und Bevölkerungsprobleme gibt, versteht man besser, wie schwer wiegend diese Probleme in anderen Regionen der USA sein müssen. Am Beispiel Montana werde ich die fünf Hauptthemen dieses Buches deutlich machen: die Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt; den Klimawandel; die Beziehungen einer Gesellschaft zu freundlich gesonnenen Nachbargesellschaften (in diesem Fall andere US-Bundesstaaten): die Gefährdung einer Gesellschaft durch potenzielle Feinde (beispielsweise Terroristen aus anderen Kontinenten und Ölproduzenten); und die Bedeutung der Frage, wie eine Gesellschaft auf solche Probleme reagiert.
In der gesamten Gebirgsregion im Westen Nordamerikas wird die Nahrungsmittelproduktion durch ökologische Nachteile beeinträchtigt, und entsprechend eignet sich auch Montana nur begrenzt für Nutzpflanzenanbau und Viehzucht. Im Einzelnen sind das folgende Faktoren: der geringe Niederschlag, der Pflanzen nur langsam wachsen lässt; die hohe nördliche Breite und die Höhenlage, beides Faktoren, die für eine kurze Wachstumssaison sorgen, sodass nur eine Getreideernte im Jahr möglich ist und nicht zwei wie in Gegenden mit einem längeren Sommer; und die große Entfernung zu den Märkten in den dichter besiedelten Regionen der USA, wo man die Produkte verkaufen kann. Die Folge: Alles, was in Montana wächst, kann in anderen Regionen Nordamerikas billiger und mit höherem Ertrag produziert werden, und es lässt sich schneller und billiger in die Ballungsräume transportieren. Deshalb ist die Geschichte Montanas geprägt von immer neuen Versuchen, die gleiche grundlegende Frage zu beantworten: Wie kann man in diesem schönen, aber landwirtschaftlich nicht konkurrenzfähigen Staat seinen Lebensunterhalt verdienen?
Die Besiedelung Montanas durch die Menschen gliedert sich in mehrere wirtschaftliche Phasen. Die Erste war die der amerikanischen Ureinwohner, die vor mindestens 13 000 Jahren einwanderten. Im Gegensatz zu den bäuerlichen Gesellschaften, die sie im Osten und Süden Nordamerikas bildeten, blieben die Ureinwohner in Montana bis zur Besiedelung durch die Europäer immer Sammler und Jäger, selbst in Regionen, wo heute Ackerbau und Viehzucht praktiziert werden. Das lag unter anderem daran, dass es in Montana keine einheimischen wilden Pflanzen- und Tierarten gab, deren Domestikation sich angeboten hätte, und deshalb konnte die Landwirtschaft hier im Gegensatz zum Osten Nordamerikas und Mexikos keinen unabhängigen Ursprung nehmen. Außerdem lag Montana von den beiden Zentren, wo die amerikanischen Ureinwohner unabhängig die Landwirtschaft erfanden, weit entfernt; die dort angebauten Nutzpflanzen hatten sich selbst
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