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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Schalentieren und Schildkröten. Nach den Berichten der Bewohner von Tikopia hatten ihre Vorfahren sich zu diesem Schritt entschlossen, weil die Schweine immer wieder über Felder herfielen und sie durchwühlten, mit den Menschen um Nahrung konkurrierten und eine ineffiziente Nahrungsmittelquelle darstellen (ungefähr 10 Kilo essbares Gemüse sind notwendig, um ein Kilo Schweinefleisch zu erzeugen), sodass sie bereits zu einem Luxuslebensmittel für die Häuptlinge geworden waren. Mit der Beseitigung der Schweine und der Umwandlung der Bucht in einen Brackwassersee, die ungefähr zur gleichen Zeit stattfand, nahm die Wirtschaft von Tikopia im Wesentlichen die Form an, die sie bis zur Besiedlung durch die ersten Europäer Anfang des 19. Jahrhunderts beibehielt. Als sich Anfang des 20. Jahrhunderts der Einfluss von Kolonialregierung und christlicher Mission bemerkbar machte, hatten die Bewohner von Tikopia sich also durch geschickte Bewirtschaftung ihres abgelegenen kleinen Fleckchens Land bereits seit drei Jahrtausenden selbst versorgt.
    Heute gliedert sich die Bevölkerung der Insel in vier Sippen oder Großfamilien; an der Spitze steht jeweils ein Häuptling, der sein Amt erbt und mehr Macht hat als die »großen Männer« im Hochland von Neuguinea. Dennoch eignet sich die Metapher »von unten nach oben« für die wirtschaftliche Entwicklung von Tikopia besser als das Bild »von oben nach unten«. Zu Fuß kann man die Insel an der Küste in weniger als einem halben Tag umrunden, sodass jedem Bewohner das gesamte Eiland vertraut ist. Die Bevölkerung ist so klein, dass jeder Bewohner auch alle anderen Menschen gut kennt. Jedes Stück Land hat einen Namen und gehört in väterlicher Linie einer Gruppe von Verwandten, aber jedes Haus besitzt auch Landstücke in verschiedenen Teilen der Insel. Wird ein Feld derzeit nicht genutzt, kann jeder dort vorübergehend Pflanzen anbauen, ohne dass er den Eigentümer um Erlaubnis fragen müsste. Jeder kann an jedem Riff Fische fangen, auch wenn er sich dabei unmittelbar vor der Haustür eines anderen befindet. Wirbelstürme oder Dürreperioden betreffen die ganze Insel. Obwohl die Bewohner Tikopias unterschiedlichen Sippen angehören und obwohl diesen Gruppen unterschiedlich viel Land gehört, stehen alle vor den gleichen Problemen, und alle sind den gleichen Gefahren ausgesetzt. Die isolierte Lage und die geringe Größe der Insel verlangten seit ihrer Besiedelung stets gemeinsame Entscheidungen. Seinem ersten Buch gab der Anthropologe Raymond Firth den Titel We , the Tikopia (»Wir, die Tikopia«), weil er diese Formulierung (»Matou nga Tikopia «) von den Bewohnern häufig gehört hatte, wenn sie ihm ihre Gesellschaft erklärten.
    Die Häuptlinge der Insel sind die Oberaufseher über Land und Kanus der Sippen, und sie verteilen auch die Mittel. Aber nach den Maßstäben Polynesiens ist Tikopia eine der am wenigsten in Schichten gegliederten Gesellschaften mit den schwächsten Häuptlingen. Diese und ihre Familien produzieren ebenso wie ihre Untertanen eigene Lebensmittel und bestellen ihre eigenen Felder und Plantagen. Oder, wie Firth es formulierte: »Letztlich ist die Produktionsmethode durch die soziale Tradition vorgegeben, in welcher der Häuptling nur der wichtigste Handelnde und Dolmetscher ist. Er und seine Leute teilen die gleichen Werte: eine Ideologie der Verwandtschaft, der Rituale und Moral, verstärkt durch Legenden und Mythologie. Der Häuptling ist in einem beträchtlichen Maße ein Bewahrer dieser Tradition, aber damit steht er nicht allein. Seine Familienältesten, seine Mithäuptlinge, die Menschen seiner Sippe und sogar die Mitglieder seiner Familie, alle sind von den gleichen Werte durchdrungen, geben ihm Ratschläge und kritisieren seine Handlungen.« Die Funktion der Häuptlinge von Tikopia stellt also weniger eine Bewirtschaftung von oben nach unten dar als bei den Führern der letzten Gesellschaft, die wir im Folgenden erörtern wollen.
    Unsere zweite Erfolgsgeschichte ähnelt der von Tikopia insofern, als es auch hier um eine Gesellschaft auf einer dicht bevölkerten Insel geht, die von der Außenwelt isoliert war, nur wenige wirtschaftlich bedeutsame Waren importierte und eine lange Vergangenheit mit einer autarken, nachhaltigen Lebensweise vorweisen kann. Aber damit sind die Ähnlichkeiten auch zu Ende: Diese Insel hat eine Bevölkerung, die 100 000-mal größer ist als die von Tikopia, sie besitzt eine mächtige Zentralregierung, eine industriell

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