Kollaps
ihrer Mitglieder tötet. Als der Völkermord 1994 fortschritt und die Zahl der Tutsi abnahm, gingen Hutu auch in anderen Teilen des Landes dazu über, sich gegenseitig anzugreifen. Aus diesen Tatsachen wird deutlich, dass wir neben dem ethnischen Hass auch nach anderen Ursachen suchen müssen.
Betrachten wir dazu zunächst noch einmal die bereits erwähnte hohe Bevölkerungsdichte in Ruanda. Das Land war - wie auch Burundi - bereits im 19. Jahrhundert, vor der Ankunft der ersten Europäer, dicht besiedelt. Das lag an dem doppelten Vorteil einer mäßigen Niederschlagsmenge und einer Höhenlage, in der sich Malaria und die Tsetsefliege nicht verbreiten konnten. Später wuchs die Bevölkerung Ruandas, wenn auch mit Schwankungen, durchschnittlich um drei Prozent im Jahr. Dies hatte im Wesentlichen die gleichen Gründe wie in den Nachbarländern Kenia und Tansania: Nutzpflanzen aus der Neuen Welt, bessere Gesundheitsversorgung, Arzneimittel und stabile politische Grenzen. Im Jahr 1990 lag die durchschnittliche Bevölkerungsdichte in Ruanda trotz der Morde und der Massenflucht der vorangegangenen Jahrzehnte noch bei 295 Menschen je Quadratkilometer, mehr als in Großbritannien (236) und fast so viel wie in den Niederlanden (367). Aber in Großbritannien und den Niederlanden gibt es eine äußerst leistungsfähige, mechanisierte Landwirtschaft, sodass ein Anteil von wenigen Prozent der Bevölkerung als Bauern die Lebensmittel für alle anderen produzieren können. In Ruanda ist die Landwirtschaft weit weniger leistungsfähig; die Bauern arbeiten mit Schaufel, Hacke und Machete, und die meisten Menschen müssen in der Landwirtschaft tätig werden, weil sie so gut wie keine Überschüsse produzieren, von denen andere leben könnten.
Auch als die Bevölkerung Ruandas nach der Unabhängigkeit wuchs, hielt das Land an seinen traditionellen landwirtschaftlichen Methoden fest. Man versäumte es zu modernisieren, produktivere Nutzpflanzensorten einzuführen, die landwirtschaftlichen Exporte auszuweiten und eine wirksame Familienplanung zu betreiben. Stattdessen wurde die wachsende Bevölkerung versorgt, indem man durch Rodung von Wäldern und Trockenlegung von Sümpfen neues Ackerland erschloss, die Brachperioden verkürzte und bestrebt war, jedes Feld innerhalb eines Jahres zweioder dreimal abzuernten. Als in den sechziger Jahren und 1973 zu viele Tutsi flüchteten oder getötet wurden, standen ihre Besitztümer der Umverteilung zur Verfügung, und dies beflügelte den Traum, jetzt könne endlich jeder Hutu-Bauer genügend Land besitzen, um sich und seine Familie ausreichend zu ernähren. Bis 1985 waren alle nutzbaren Landflächen außerhalb der Nationalparks erschlossen. Mit dem Wachstum von Bevölkerung und landwirtschaftlicher Produktion stieg der Pro-Kopf-Ertrag von 1966 bis 1981 an, aber danach sank er wieder auf das Niveau vom Beginn der sechziger Jahre. Genau hier beginnt das malthusianische Dilemma: mehr Nahrung, aber auch mehr Menschen und deshalb keine Steigerung der Nahrungsmenge pro Person.
Als einige meiner Bekannten 1984 in Ruanda waren, ahnten sie die ökologische Katastrophe bereits voraus. Das ganze Land glich einem Feld und einer Bananenplantage. Steile Berghänge waren bis zum Gipfel landwirtschaftlich genutzt. Man praktizierte nicht einmal grundlegende Maßnahmen zur Verminderung der Bodenerosion, wie Terrassenanbau, Pflügen entlang den Höhenlinien statt bergauf und bergab oder Anlage einer Pflanzendecke in Brachperioden; stattdessen ließ man die Felder in dieser Zeit einfach unbebaut. Die Folge war ein hohes Maß an Bodenerosion, und die Flüsse führten riesige Schlammmengen mit. Ein Bürger des Landes schrieb mir: »Manchmal wachen die Bauern morgens auf und stellen fest, dass ihr ganzes Feld (oder zumindest der Oberboden mit den Pflanzen) in der Nacht weggespült wurde, oder dass Boden und Gestein vom Nachbarfeld auf das eigene Feld gespült wurden.« Die Rodung der Wälder führte dazu, dass Wasserläufe austrockneten und dass die Niederschläge noch unregelmäßiger fielen. Ende der achtziger Jahre gab es wieder die ersten Hungersnöte. Im Jahr 1989 führte eine Dürreperiode, die durch regionale oder globale Klimaveränderungen in Verbindung mit den lokalen Auswirkungen der Waldzerstörung verursacht wurde, zu einer ernsteren Nahrungsmittelknappheit.
Wie sich alle diese Veränderungen von Umwelt und Bevölkerung in einem begrenzten Gebiet im Nordwesten Ruandas (der Gemeinde Kanama) auswirkten,
Weitere Kostenlose Bücher