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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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einen Betrieb mit mehr als 10 000 Quadratmetern als »sehr groß« und einen mit weniger als 2500 Quadratmetern als »sehr klein«. (Welche Tragik in diesen Zahlen steckt, zeigt sich beim Blick auf Kapitel 1: Dort habe ich erwähnt, dass in Montana früher ein Betrieb von 16 Hektar - 160 000 Quadratmeter - notwendig war, um eine Familie zu ernähren, und dass diese Größe heute als unzureichend gilt.) Aber der Anteil der sehr großen Betriebe nahm von 1988 bis 1993 von fünf auf acht Prozent zu, bei den sehr kleinen Betrieben stieg er von 36 auf 45 Prozent. Mit anderen Worten: In der bäuerlichen Gesellschaft von Kanama öffnete sich die Schere zwischen reichen Grundbesitzern und armen Habenichtsen, und die Zahl derer, die in der Mitte standen, wurde immer kleiner. In der Regel waren ältere Haushaltsvorstände wohlhabender und hatten größere Betriebe: Solche aus der Altersgruppe zwischen 50 und 59 Jahren besaßen Höfe von durchschnittlich 8296 Quadratmetern, bei 20- bis 29-Jährigen waren es nur 1497 Quadratmeter. Natürlich hatten die älteren Haushaltsvorstände auch mehr Familienmitglieder und brauchten deshalb mehr Land, aber die Fläche je Haushaltsmitglied war auf ihren Anwesen immer noch drei Mal so groß wie bei den jüngeren Familienoberhäuptern.
    Paradoxerweise hatten die Besitzer großer Anwesen auch außerhalb der Landwirtschaft ein unverhältnismäßig hohes Einkommen: Die Durchschnittsgröße der Betriebe, denen solches Einkommen zur Verfügung stand, lag bei 5261 Quadratmetern, für jene ohne derartiges Einkommen jedoch nur bei 2023 Quadratmetern. Paradox ist dieser Unterschied, weil auf kleineren Höfen weniger Ackerland pro Person für die Ernährung zur Verfügung steht, sodass in größerem Umfang andere Einkünfte gebraucht werden. Die Konzentration dieser Nebeneinkünfte auf die größeren Höfe trug dazu bei, dass die Gesellschaft von Kanama sich zunehmend in Reiche und Arme aufspaltete, wobei die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer wurden. Eigentlich ist es den Besitzern kleiner Höfe in Ruanda verboten, Teile ihres Landes zu verkaufen. Es geschieht aber dennoch. Bei der Untersuchung der Landverkäufe stellte sich heraus, dass die Eigentümer der kleinsten Höfe vor allem dann Land verkauften, wenn sie in Geldnot waren, beispielsweise wegen Nahrungsknappheit, gesundheitlicher oder juristischer Probleme, der Notwendigkeit von Bestechung, Eheschließungen, Bestattungen oder Alkoholmissbrauch. Die Eigentümer großer Höfe dagegen verkauften, um die Leistungsfähigkeit ihrer Betriebe zu steigern (so wurde beispielsweise eine abgelegene Parzelle veräußert, weil man ein Stück Land in der Nähe des Bauernhauses kaufen wollte).
    Mit dem Zusatzeinkommen konnten die Besitzer größerer Höfe jenen, die kleinere Betriebe besaßen, Landflächen abkaufen und expandieren, die kleineren Höfe dagegen verkauften Land und schrumpften. Unter den großen Betrieben verkaufte fast keiner Land, ohne auch welches zu erwerben, unter den kleinsten dagegen verkauften 1988 schon 35 Prozent und 1993 sogar 49 Prozent einen Teil ihrer Flächen, ohne neue hinzuzukaufen. Alle Bauern mit Nebeneinkünften kauften Land hinzu, und keiner von ihnen verkaufte Land, ohne neues zu erwerben; dagegen kauften nur 13 Prozent derer, die keine Nebeneinkünfte hatten, Land hinzu, und 65 Prozent dieser Gruppe verkauften, ohne neu zu kaufen. Auch hier fällt das Paradox auf: Betriebe, die bereits sehr klein waren und dringend neue Flächen gebraucht hätten, verkauften in Notfällen und wurden noch kleiner, und die großen Betriebe finanzierten mit den Nebeneinkünften ihre Zukäufe. Wie gesagt: »Große Betriebe« sind hier nur nach den Maßstäben Ruandas groß, weil sie mehr als 5000 bis 8000 Quadratmeter umfassen.
    In Kanama waren also die meisten Menschen verarmt, hungrig und verzweifelt, aber manche waren verarmter, hungriger und verzweifelter als andere, und bei den meisten wurde die Verzweiflung größer, während sie bei wenigen geringer wurde. Wie nicht anders zu erwarten, führte diese Situation häufig zu Konflikten, die von den Beteiligten nicht allein gelöst werden konnten, sodass sie sich entweder an die traditionellen Vermittler im Dorf wandten oder (seltener) die Gerichte bemühten. Die Haushalte berichteten im Durchschnitt jeweils über mehr als einen solchen Konflikt im Jahr, der einer Vermittlung von außen bedurfte. Andre und Plattaeu untersuchten 226 solche Konflikte anhand der Beschreibung durch

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