Kollaps
1972, hatten sie mehrere hunderttausend Hutu umgebracht. (Im Hinblick auf diese geschätzte Zahl und auch bei den im Folgenden genannten Opfer- und Vertriebenenzahlen bestehen naturgemäß große Unsicherheiten.) In Ruanda jedoch gewannen die Hutu die Oberhand: 1963 töteten sie 20 000 (vielleicht auch nur 10 000) Tutsi. Im Lauf der beiden folgenden Jahrzehnte flohen mehr als eine Million Ruander und insbesondere Tutsi in Nachbarstaaten. Von dort aus versuchten sie es immer wieder mit Invasionen in Ruanda, was dazu führte, dass weitere Tutsi von Hutu getötet wurden; 1973 schließlich kam der Hutu-General Habyarimana durch einen Putsch gegen die bisherige Hutudominierte Regierung an die Macht und entschied, man solle die Tutsi in Ruhe lassen.
Unter Habyarimana ging es Ruanda 15 Jahre lang gut. Das Land wurde zu einem bevorzugten Empfänger von Entwicklungshilfe aus Staaten anderer Kontinente, die hier ein friedliches Land mit immer besseren Indikatoren für Gesundheitsversorgung, Bildung und Wirtschaft vorweisen konnten. Aber leider kam der wirtschaftliche Aufschwung durch Dürre und verschiedene ökologische Probleme (insbesondere Waldzerstörung, Bodenerosion und Fruchtbarkeitsverlust des Bodens) zum Stillstand; 1989 folgten dann noch ein starker Abfall der Weltmarktpreise für Kaffee und Tee, die beiden wichtigsten Exportprodukte des Landes, sowie Sparauflagen der Weltbank und im Süden eine weitere Dürre. Als Tutsi im Oktober 1990 wieder einmal versuchten, aus Uganda in den Nordosten Ruandas einzudringen, nahm Habyarimana dies als Vorwand, um überall in seinem Land Hutu-Dissidenten und Tutsi zu verhaften und so die Macht seiner eigenen Anhänger zu stärken. Der Bürgerkrieg trieb eine Million Ruander in Flüchtlingslager, und dort waren verzweifelte junge Männer leicht für Milizen zu rekrutieren. Im Jahr 1993 wurde in Arusha ein Friedensabkommen unterzeichnet, das eine Teilung der Macht und eine Mehrparteienregierung vorsah. Aber Geschäftsleute, die Habyarimana nahe standen, importierten 581 000 Macheten - die billiger waren als Gewehre - und ließen sie an Hutu verteilen, damit diese die Tutsi umbrachten.
Aber Habyarimanas Maßnahmen gegen die Tutsi und die Tatsache, dass er deren Tötung nun hinnahm, reichten den Hutu-Extremisten noch nicht aus. Diese fürchteten, ihre Machtposition werde durch das Abkommen von Arusha verwässert. Sie bildeten ihre eigenen Milizen aus, importierten weitere Waffen und bereiteten die Ausrottung der Tutsi vor. Die Angst der Hutu vor den Tutsi erwuchs aus der langjährigen Unterdrückung durch die früheren Machthaber, aus den verschiedenen Invasionen der Tutsi und den Massenmorden, die Tutsi an Hutu und ihren politischen Führern im benachbarten Burundi verübt hatten. Neue Nahrung erhielten die Befürchtungen, als extremistische Tutsi-Offiziere 1993 in Burundi den dortigen Präsidenten, einen Hutu, ermordeten; dies provozierte in Burundi den Mord von Hutu an Tutsi, und das wiederum gab den Anlass zu noch mehr Morden von Tutsi an Hutu.
Die letzte Zuspitzung erfolgte am Abend des 6. April 1994: Die Präsidentenmaschine von Ruanda mit dem Präsidenten Habyarimana und dem (in letzter Minute zugestiegenen) neuen Übergangspräsidenten von Burundi an Bord wurde bei der Landung auf dem Flughafen der ruandischen Hauptstadt Kigali von zwei Raketen abgeschossen. Alle Insassen kamen ums Leben. Die Raketen kamen aus der unmittelbaren Umgebung des Flughafens. Von wem und warum Habyarimanas Flugzeug abgeschossen wurde, ist bis heute nicht genau geklärt; Motive, ihn umzubringen, hatten mehrere Gruppen. Wer die Attentäter auch waren, jedenfalls führten Hutu-Extremisten schon in der ersten Stunde nach dem Abschuss der Maschine einen offenbar exakt vorbereiteten Plan aus: Sie töteten den Hutu-Premierminister sowie andere gemäßigte oder jedenfalls weniger extreme Mitglieder der demokratischen Opposition und auch Tutsi. Nachdem die Hutu-Opposition ausgeschaltet war, übernahmen die Extremisten die Macht und den Rundfunk, und dann gingen sie daran, die ruandischen Tutsi, trotz der früheren Morde und der Auswanderung ins Exil immer noch über eine Million Menschen, auszurotten.
Die Speerspitze der Mörder waren anfangs Hutu-Extremisten aus der Armee, die mit Gewehren zu Werke gingen. Sie machten sich wenig später daran, Hutu-Zivilisten effizient zu organisieren, verteilten Waffen, richteten Straßensperren ein, töteten Tutsi, die dort identifiziert wurden, riefen im Rundfunk alle
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