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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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oder zu liefern. Die Wirtschaft der Dominikanischen Republik nutzt diese Haitianer als schlecht bezahlte Arbeitskräfte, aber das Land ist nicht bereit, ihnen im Gegenzug Ausbildung, medizinische Versorgung und Wohnungen zur Verfügung zu stellen, wo doch das Geld nur knapp ausreicht, solche Dienstleistungen für die eigenen Bürger zu sichern. Die Bürger der Dominikanischen Republik und die dort lebenden Haitianer sind nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell getrennt: Sie sprechen unterschiedliche Sprachen, kleiden sich unterschiedlich, nehmen andere Nahrungsmittel zu sich und sehen im Durchschnitt auch verschieden aus.
    Als ich hörte, wie meine Bekannten aus der Dominikanischen Republik die Lage der Haitianer in ihrem Land beschrieben, wunderte ich mich über die auffällige Parallele zur Lage illegaler Einwanderer aus Mexiko und anderen lateinamerikanischen Staaten in den USA. Ich hörte Formulierungen wie »Arbeiten, die kein Dominikaner haben will«, »schlecht bezahlte Jobs, aber immer noch besser als das, was sie zu Hause haben«, »diese Haitianer bringen Aids, Tuberkulose und Malaria mit«, »sie sprechen eine andere Sprache und sehen dunkler aus«, und »wir sind nicht verpflichtet und können es uns nicht leisten, illegalen Einwanderern medizinische Versorgung, Ausbildung und Wohnungen zur Verfügung zu stellen«. In allen diesen Sätzen brauchte ich nur die Wörter »Haitianer« und »Dominikaner« durch »lateinamerikanische Einwanderer« und »Bürger der Vereinigten Staaten« zu ersetzen, und schon hatte ich typische Formulierungen für die Einstellung der Nordamerikaner gegenüber lateinamerikanischen Einwanderern.
    Wenn die Bewohner der Dominikanischen Republik weiterhin mit dem derzeitigen Tempo in die Vereinigten Staaten und nach Puerto Rico auswandern, während gleichzeitig ebenso viele Haitianer in die Dominikanische Republik kommen, wird diese zu einem Land mit einer wachsenden haitianischen Minderheit werden, ganz ähnlich wie manche Teile der USA, die zunehmend »hispanisiert« (das heißt von Lateinamerikanern besiedelt) sind. Deshalb liegt es im ureigenen Interesse der Dominikanischen Republik, dass die Probleme in Haiti gelöst werden, genau wie die USA ein vitales Interesse an der Lösung der Probleme in Lateinamerika haben. Die Dominikanische Republik ist von den Verhältnissen in Haiti stärker betroffen als jedes andere Land.
    Könnte die Dominikanische Republik für die Zukunft Haitis eine konstruktive Rolle spielen? Auf den ersten Blick sieht es nicht so aus, als könnten von hier Lösungen für die Probleme Haitis kommen. Die Dominikanische Republik ist selbst arm und hat große Schwierigkeiten, ihren eigenen Bürgern zu helfen. Die beiden Staaten sind durch eine kulturelle Kluft getrennt, zu der unterschiedliche Sprachen und ein unterschiedliches Selbstbild gehören. Auf beiden Seiten gibt es eine alte, tief verwurzelte Tradition der Abneigung - viele Bewohner der Dominikanischen Republik betrachten Haiti als Teil Afrikas und blicken auf die Haitianer hinab, diese wiederum stehen jeder Einmischung von außen misstrauisch gegenüber. Die Bewohner beider Länder können nicht vergessen, welche Grausamkeiten sie sich gegenseitig zugefügt haben. In der Dominikanischen Republik erinnert man sich nur allzu gut an die haitianische Invasion im 19. Jahrhundert, als eine Besetzung 22 Jahre dauerte (wobei die positiven Aspekte dieser Besetzung, beispielsweise die Abschaffung der Sklaverei, in Vergessenheit geraten). In Haiti wiederum ist Trujillos schlimmste Gräueltat im Gedächtnis geblieben, sein Befehl, zwischen dem 2. und 8. Oktober 1937 alle 20 000 Haitianer im Nordwesten der Dominikanischen Republik und in Teilen des Cibao-Tales mit Macheten niederzumetzeln. Heute gibt es zwischen beiden Regierungen kaum Zusammenarbeit, sondern sie betrachten einander voller Misstrauen oder sogar Feindseligkeit.
    Aber alle diese Überlegungen ändern nichts an zwei grundlegenden Tatsachen: Die Umwelt der Dominikanischen Republik geht bruchlos in die Umwelt Haitis über, und Haiti ist das Land, das auf die Dominikanische Republik stärkere Auswirkungen hat als jedes andere. Langsam werden erste Anzeichen für Zusammenarbeit erkennbar. Als ich beispielsweise die Dominikanische Republik besuchte, wollte zum ersten Mal eine Gruppe von einheimischen Wissenschaftlern nach Haiti reisen, um sich dort mit Kollegen zu treffen, und auch ein Gegenbesuch der haitianischen Wissenschaftler in Santo Domingo

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