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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Flächen führte.
    Die hohe Bewertung des Landes hat dazu geführt, dass in die australische Landwirtschaft Wertvorstellungen einflossen, die in der britischen Heimat gerechtfertigt waren, nicht aber in Australien mit seiner geringen Produktivität. Dies ist noch heute ein Hindernis für die Lösung eines wichtigen innenpolitischen Problems: Die australische Verfassung gesteht ländlichen Gebieten bei Wahlen ein unverhältnismäßig großes Gewicht zu. Noch mehr als in Europa oder den Vereinigten Staaten sind Landwirte im australischen Volksglauben ehrliche Menschen, und Stadtbewohner gelten als unehrlich. Geht ein Bauer Bankrott, dann weil ein tugendhafter Mensch das Pech hatte, Kräften (wie beispielsweise einer Dürreperiode) zu unterliegen, über die er keine Kontrolle hatte; geht dagegen ein Stadtbewohner Bankrott, nehmen alle an, er habe sich dies wegen seiner Unfähigkeit selbst zuzuschreiben. Diese Verklärung des Landlebens und das unverhältnismäßig starke Gewicht der Landbewohner bei Wahlen verkennen die bereits erwähnte Realität, dass Australien unter allen Staaten am stärksten urbanisiert ist. Sie waren ein Grund, warum die Regierung lange ihre Unterstützung für Maßnahmen beibehielt, welche die Umwelt zerstören.
    Bis vor 50 Jahren kamen Einwanderer in Australien in ihrer überwältigenden Mehrzahl aus Großbritannien und Irland. Noch heute fühlen sich viele Australier stark ihrer britischen Herkunft verpflichtet und würden empört den Gedanken zurückweisen, dass sie diese unangemessen verklären. Aber wegen dieser Herkunft haben die Australier manches getan, was ihnen selbst bewundernswert erscheint, während der leidenschaftslose Beobachter darin unangemessene Maßnahmen sieht, die nicht unbedingt im Interesse Australiens liegen. Im Ersten wie auch im Zweiten Weltkrieg erklärte Australien Deutschland den Krieg, sobald Großbritannien und Deutschland sich gegenseitig den Krieg erklärt hatten; in Wirklichkeit waren Australiens Interessen im Ersten Weltkrieg nie betroffen (außer als Ausrede, mit deren Hilfe die Australier die deutsche Kolonie in Neuguinea erobern konnten), und im Zweiten Weltkrieg waren sie bis zum Beginn des Krieges mit Japan, über zwei Jahre nach Ausbruch des Konfliktes zwischen Großbritannien und Deutschland, ebenfalls nicht betroffen. Der wichtigste Nationalfeiertag Australiens (und auch Neuseelands) ist der »Anzac Day« am 25. April: Er erinnert daran, wie australische und neuseeländische Truppen an diesem Datum des Jahres 1915 auf der abgelegenen türkischen Halbinsel Gallipoli hingemetzelt wurden, weil unfähige britische Befehlshaber sie zusammen mit britischen Streitkräften in einen erfolglosen Angriff gegen die Türkei schickten. Das Blutbad von Gallipoli wurde für die Australier zum Symbol, dass ihr Land »erwachsen« war, das britische Mutterland unterstützen konnte und seinen Platz unter den Staaten der Welt als vereinigter Bundesstaat einnehmen würde, statt als halbes Dutzend Kolonien mit verschiedenen Generalgouverneuren zu agieren. Die engste Parallele zu dem, was Gallipoli für die Australier bedeutet, ist für Amerikaner meiner Generation der japanische Angriff auf unseren Stützpunkt Pearl Harbor am 7. Dezember 1941, der unser Land innerhalb einer Nacht einte und uns aus einer isolationistischen Außenpolitik herausriss. Aber jeder andere außer den Australiern selbst muss es einfach für paradox halten, dass Australiens Nationalfeiertag mit der Halbinsel Gallipoli zu tun hat, die ein Drittel des Erdumfanges entfernt auf der anderen Seite des Äquators liegt: Kein anderer Ort könnte für die Interessen Australiens von geringerer Bedeutung sein.
    Die emotionale Verbindung mit Großbritannien besteht noch heute. Als ich 1964 zum ersten Mal in Australien war, nachdem ich zuvor vier Jahre in Großbritannien gelebt hatte, kam mir Australien in Architektur und Einstellungen britischer vor als das moderne Großbritannien selbst. Bis 1973 legte die australische Regierung jedes Jahr in London eine Liste ihrer Staatsbürger vor, die zum Ritter geschlagen werden sollten, was für einen Australier als die höchste denkbare Ehre galt. Noch heute ernennt Großbritannien für Australien einen Generalgouverneur, der die Macht hat, den Premierminister zu entlassen, was 1975 auch tatsächlich geschah. Bis Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts bekannte sich das Land zu einer »Politik des weißen Australien«: Die Einwanderung aus asiatischen

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