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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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nicht nur 15 Kilometer breit.
    Nach der Überlieferung der Osterinselbewohner selbst wurde die Expedition zur Besiedlung ihrer Insel von einem Häuptling namens Hotu Matu’a (»Großer Vater«) geleitet, der mit seiner Frau, sechs Söhnen und der Großfamilie in einem oder zwei großen Kanus ankam. (Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hielten europäische Besucher viele mündliche Überlieferungen der damals noch lebenden Inselbewohner schriftlich fest, und diese Überlieferungen enthalten viele offensichtlich glaubwürdige Informationen über das Leben auf der Insel in dem Jahrhundert vor der Besiedlung durch die Menschen; ob auch Einzelheiten über Ereignisse aus der Zeit mehr als 1000 Jahre zuvor zuverlässig wiedergegeben werden, ist allerdings unsicher.) Wie wir in Kapitel 3 noch genauer erfahren werden, blieben die Bevölkerungsgruppen auf vielen anderen Inseln Polynesiens untereinander in Kontakt, weil nach ihrer ursprünglichen Entdeckung und Besiedlung in beiden Richtungen regelmäßig Schiffe verkehrten. Galt das möglicherweise auch für die Osterinsel, und kamen demnach auch nach Hotu Matu’a noch andere Kanus an? Der Archäologe Roger Green brachte diese Möglichkeit ins Gespräch; dabei stützte er sich auf Ähnlichkeiten in der Machart mancher Werkzeuge von der Osterinsel und Mangareva, die erst mehrere Jahrhunderte nach der Besiedlung der Osterinsel hergestellt wurden. Gegen diesen Gedanken spricht allerdings die Tatsache, dass es auf der Osterinsel traditionell weder Hunde und Schweine noch einige typisch polynesische Nutzpflanzen gab; eigentlich müsste man damit rechnen, dass spätere Reisende diese Tiere und Pflanzen mitbrachten, wenn sie in Hotu Matu’as Kanu nicht überlebt hätten oder kurz nach seiner Ankunft ausgestorben wären. Wie wir im nächsten Kapitel außerdem noch erfahren werden, findet man zahlreiche Steinwerkzeuge mit der typischen chemischen Zusammensetzung einer Insel auch auf anderen Inseln, womit der Austausch zwischen den Marquesas-Inseln, Pitcairn, Henderson, Mangareva und den Gesellschaftsinseln eindeutig bewiesen ist; Gestein von der Osterinsel hat man dagegen auf keinem anderen Eiland gefunden und umgekehrt. Die Bewohner der Osterinsel lebten also möglicherweise tatsächlich völlig isoliert am Ende der Welt und hatten mit Außenstehenden in den rund 1000 Jahren zwischen Hotu Matu’as und Roggeveens Ankunft keinerlei Kontakt.
    Allgemein wurden die Hauptinseln Ostpolynesiens um 600 bis 800 n. Chr. besiedelt - wann geschah dies also auf der Osterinsel? Was den Zeitpunkt angeht, bestehen ebenso wie bei der Besiedlung der Hauptinseln beträchtliche Unsicherheiten. Veröffentlichungen über die Osterinsel sprechen häufig von Belegen für eine Besiedelung um 300 bis 400 n. Chr.; dabei stützt man sich insbesondere auf die Glottochronologie, eine Methode, mit der man die Zeit der Auseinanderentwicklung von Sprachen berechnen kann, sowie auf die Radiokarbondatierung von drei Holzkohleproben aus Ahu Te Peu, aus einem Graben am Poike und aus den Sedimenten in einem See, die auf die Abholzung von Wald schließen lassen. Spezialisten für die Geschichte der Osterinsel stellen diesen frühen Zeitpunkt aber zunehmend infrage. Glottochronologische Berechnungen gelten als unzuverlässig, insbesondere wenn man sie auf Sprachen anwendet, die eine so komplizierte Vergangenheit haben wie die der Osterinsel (die wir vorwiegend von Informanten aus Tahiti und von den Marquesas-Inseln kennen und die deshalb möglicherweise verfälscht wurde) und Mangarevas (die sich offenbar später durch Neuankömmlinge von den Marquesas-Inseln veränderte). Die drei früheren Radiokarbondatierungen wurden jeweils nur an einer einzigen Materialprobe vorgenommen und erfolgten mit älteren, mittlerweile nicht mehr gebräuchlichen Methoden; außerdem gibt es keinen Beweis, dass die datierten Holzkohleobjekte tatsächlich etwas mit Menschen zu tun hatten.
    Der zuverlässigste Beleg für eine frühe Besiedelung der Osterinsel ist offenbar eine Datierung auf die Zeit um 900 n. Chr. die der Paläontologe David Steadman sowie die Archäologen Claudio Cristino und Patricia Vargas vornahmen. Als Material diente ihnen Holzkohle und die Knochen von Delphinen, die von Menschen gegessen wurden; die Proben stammten aus den ältesten archäologischen Schichten, die am Anakena-Strand der Osterinsel Indizien für die Gegenwart von Menschen liefern. Anakena eignet sich unter allen Stränden der Insel mit Abstand am

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