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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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liegend gezogen, mit oder ohne hölzernen Schlitten, auf einer vorbereiteten oder nicht vorbereiteten Spur mit geschmierten oder nicht geschmierten Rollen, oder mit festen Querbalken. Am überzeugendsten ist für mich die Methode, die von Jo Anne Van Tilburg vorgeschlagen wurde: Danach wandelten die Bewohner der Osterinsel die so genannten Kanuleitern ab; diese Geräte waren auf allen Pazifikinseln weit verbreitet und dienten sonst dem Transport schwerer Holzbalken, die man im Wald fällen und dort zu Einbäumen formen musste, bevor man sie an die Küste brachte. Eine solche »Leiter« besteht aus zwei parallel angeordneten hölzernen Schienen, die nicht durch bewegliche Rollen, sondern durch feste Querhölzer verbunden sind; über diese Konstruktion zieht man dann den Balken. In der Region von Neuguinea habe ich derartige Leitern mit einer Länge von mehr als eineinhalb Kilometern gesehen, die von der Küste mehrere hundert Meter bergauf zu einer Waldlichtung verliefen. Dort fällte man dann einen riesigen Baum und höhlte ihn als Kanurumpf aus. Einige besonders große Kanus, die in Hawaii über Kanuleitern transportiert wurden, wogen bekanntermaßen mehr als eine durchschnittliche moai auf der Osterinsel - die vorgeschlagene Methode ist also plausibel.
    Mit Hilfe heutiger Bewohner der Osterinsel konnte Jo Anne ihre Theorie überprüfen: Gemeinsam bauten sie eine Kanuleiter, legten eine Statue auf einen hölzernen Schlitten, an dem sie Seile befestigt hatten, und zogen ihn über die Leiter. Wie sie dabei feststellte, können 50 bis 70 Menschen, die täglich fünf Stunden arbeiten und den Schlitten mit jedem Zug um fünf Meter voranbringen, eine durchschnittliche Statue von 12 Tonnen in einer Woche über eine Strecke von nahezu 15 Kilometern transportieren. Wie Jo Anne und die Inselbewohner dabei bemerkten, ist es entscheidend, dass alle Beteiligten gleichzeitig ziehen, genau wie Kanupaddler, die die Bewegungen ihrer Paddel koordinieren. Rechnet man diese Befunde hoch, kann eine Gemeinschaft von 500 Erwachsenen auch den Transport großer Statuen wie Paro bewerkstelligen, und dies läge genau innerhalb der Arbeitskapazität einer Sippe auf der Osterinsel, die aus 1000 bis 2000 Menschen bestand.
    Thor Heyerdahl erfuhr von den Bewohnern der Osterinsel, wie ihre Vorfahren die Statuen auf den ahu errichtet hatten. Sie waren ungehalten darüber, dass die Archäologen sich nie herabgelassen hatten, sie zu fragen, und um ihre Behauptungen zu beweisen, richteten sie vor seinen Augen ohne Kran eine Statue auf. Viele weitere Erkenntnisse über Transport und Aufbau der Statuen erwuchsen aus späteren Experimenten von William Mulloy, Jo Anne Van Tilburg, Claudio Cristino und anderen. Die Bewohner bauten zunächst eine sanft ansteigende Steinrampe von dem Platz zur Oberseite der Plattform und zogen die liegende Statue dann mit der Unterseite voran die Rampe hinauf. Hatte der Sockel der Statue die Plattform erreicht, hebelten sie den Kopf mit Holzbalken einige Zentimeter nach oben, legten Steine darunter, um ihn in dieser neuen Position zu fixieren, und hebelten ihn dann erneut nach oben, sodass die Statur allmählich immer stärker in eine senkrechte Position kam. Für den Besitzer der Plattform blieb am Ende eine lange steinerne Rampe zurück, die vermutlich auseinander genommen wurde, sodass man die Steine zum Bau der Seitenflügel des ahu verwenden konnte. Der pukao wurde vermutlich zur gleichen Zeit errichtet wie die Statue selbst, und beide waren zusammen in dem gleichen Stützgerüst montiert.
    Der gefährlichste Teil des Unternehmens bestand darin, die Statue am Ende aus einem sehr steilen Winkel in die senkrechte Position zu kippen, denn dabei bestand das Risiko, dass sie aufgrund ihrer Trägheit vornüber kippte und von der Rückseite der Plattform fiel. Offensichtlich um diese Gefahr zu verringern, gestalteten die Steinmetzen ihre Statue so, dass sie nicht genau senkrecht zu ihrer flachen Basis stand, sondern ein ganz klein wenig schräg (der Winkel zur Basis betrug beispielsweise nicht genau 90, sondern etwa 87 Grad). Wenn man nun die Statue in eine stabile Position brachte, in der die Basis flach auf der Plattform stand, lehnte sich der Körper immer noch geringfügig nach vorn, und es bestand keine Gefahr, dass er hintenüber kippte. Anschließend konnte man die Vorderseite der Basis vorsichtig anheben, sodass die letzte Schrägstellung ausgeglichen wurde, und zur Stabilisierung wurden Steine darunter geschoben, bis

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