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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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die Statue genau senkrecht stand. Aber auch in diesem letzten Stadium konnten sich noch tragische Unfälle ereignen; dies geschah offensichtlich, als man auf der Ahu Hanga Te Tenga eine Statue errichten wollte, die noch größer war als Paro: Sie kippte am Ende um und zerbrach.
    Der gesamte Aufbau von Statuen und Plattformen erforderte mit Sicherheit einen ungeheuren Aufwand an Lebensmitteln. Für deren Vorratshaltung, Transport und Verteilung mussten die Häuptlinge sorgen, die die Statuen in Auftrag gegeben hatten. Zwanzig Steinmetzen mussten einen Monat lang ernährt werden, und vermutlich erhielten sie auch ihre Bezahlung in Lebensmitteln. Anschließend musste Nahrung für eine Transportmannschaft von fünfzig bis 500 Menschen und eine ähnlich große Gruppe für die Aufrichtung der Statue bereitstehen. Diese Menschen leisteten harte körperliche Arbeit und brauchten deshalb besonders viel Nahrung. Auch für die ganze Sippe, die Eigentümer der ahu war, gab es mit Sicherheit ein großes Festessen, ebenso für die Sippen, über deren Territorien die Statue transportiert wurde. Als Archäologen erstmals die geleistete Arbeit, die verbrauchten Kalorien und damit den Lebensmittelbedarf berechnen wollten, übersahen sie, dass die eigentliche Statue nur den kleineren Teil des Unternehmens darstellte. Eine ahu ist ungefähr zwanzig Mal so schwer wie die Statue, die sie trägt, und auch die Steine zu ihrem Aufbau mussten transportiert werden. Jo Anne Van Tilburg und ihr Ehemann Jan, der als Architekt in Los Angeles große moderne Gebäude errichtet und dort den notwendigen Aufwand für Kräne und Aufzüge errechnen muss, schätzte grob die erforderliche Arbeit auf der Osterinsel ab. Nach diesen Berechnungen führte der Bau sämtlicher ahu und moai auf der Osterinsel in ihrer bekannten Zahl und Größe während der rund 300-jährigen Blütezeit, in der sie errichtet wurden, für die Bevölkerung der Osterinsel zu einem um 25 Prozent höheren Nahrungsbedarf. Diese Berechnungen passen gut zu der Erkenntnis von Chris Stevenson, dass die genannten 300 Jahre auch die Blütezeit der Plantagenwirtschaft im Hochland der Osterinsel waren, in der im Vergleich zu früheren Zeiten ein hoher Lebensmittelüberschuss produziert wurde.
    Es gab aber noch ein weiteres Problem, und das haben wir bisher übergangen. Die Errichtung der Statuen erforderte nicht nur eine Menge Lebensmittel, sondern auch viele dicke Seile (die in Polynesien aus faserigen Baumrinden hergestellt werden): An den Statuen, die zwischen zehn und 90 Tonnen wogen, mussten jeweils 50 bis 500 Menschen ziehen, und ebenso brauchte man zahlreiche dicke Baumstämme für Schlitten, Kanuleitern und Hebel. Als aber Roggeveen und spätere europäische Besucher auf die Osterinsel kamen, gab es dort nur sehr wenige Bäume, die alle sehr klein und höchstens drei Meter hoch waren: Auf keiner anderen Insel Polynesiens war der Baumbestand so gering. Wo waren die Bäume, die Seile und Bauholz geliefert hatten?
    Im 20. Jahrhundert hat man in botanischen Übersichtsuntersuchungen die Pflanzen erfasst, die auf der Osterinsel leben. Dabei konnte man nur 48 einheimische Arten identifizieren, und selbst die größte davon, den bis zu zwei Meter hohen Toromiro, kann man kaum als Baum bezeichnen; alle übrigen sind kleine Farne, Gräser, Seggen und Büsche. Mit Methoden zur Bergung der Überreste ausgestorbener Pflanzen konnte man aber in den letzten Jahrzehnten nachweisen, dass die Osterinsel während mehrerer hunderttausend Jahre vor dem Eintreffen der Menschen und auch noch in der ersten Zeit danach keineswegs eine karge Wüste war, sondern dort ein subtropischer Wald aus hohen Bäumen und dichtem Gebüsch heimisch war.
    Die erste Methode, mit der man zu solchen Ergebnissen gelangte, war die Pollenanalyse (Palynologie), bei der man aus den Sedimenten eines Sumpfes oder Teiches einen Bohrkern gewinnt. Wenn das Sediment nicht erschüttert oder durcheinander gebracht wurde, hat sich der Schlamm in den obersten Schichten eines solchen Bohrkerns in jüngerer Zeit abgelagert, und je tiefer er liegt, desto älter ist er. Das tatsächliche Alter der einzelnen Schichten in solchen Ablagerungen kann man mit der Radiokarbonmethode feststellen. Dann bleibt noch die unglaublich mühselige Aufgabe, Zehntausende von Pollenkörnern aus dem Bohrkern im Mikroskop zu untersuchen, zu zählen und durch Vergleich mit dem Pollen moderner Pflanzen die jeweilige biologische Art zu ermitteln. Der erste

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