Kollaps
Tätigkeiten waren den Bewohnern der Osterinsel durch ihre isolierte Lage verwehrt. Drittens bestand auf der Osterinsel wegen der sanften Landschaft und der einander ergänzenden Ressourcen der verschiedenen Territorien ein gewisser Zusammenhalt, sodass die Sippen auf der gesamten Insel sich den Stein von Rano Raraku beschaffen und bei seiner Bearbeitung jedes Maß und Ziel verlieren konnten. Wäre die Osterinsel politisch zerstückelt geblieben wie die Marquesas-Inseln, hätte die Sippe von Tongariki, in deren Gebiet der Steinbruch lag, sich ein Monopol auf die Steine verschafft, oder benachbarte Sippen hätten den Transport der Statuen über ihr Territorium verhindert - was am Ende auch tatsächlich geschah. Und wie wir schließlich noch genauer erfahren werden, setzte der Bau der Plattformen und Statuen voraus, dass man zahlreiche Menschen ernähren konnte, und das wurde nur durch die Nahrungsmittelüberschüsse möglich, die in den Plantagen des Hochlandes unter der Kontrolle der herrschenden Kaste produziert wurden.
Wie konnte es den Bewohnern der Osterinsel ohne Kräne gelingen, die Statuen aus dem Stein zu hauen, zu transportieren und aufzurichten? Genau wissen wir es natürlich nicht, denn kein Europäer hat jemals dabei zugesehen, und deshalb konnte auch niemand darüber schreiben. Begründete Vermutungen (insbesondere über das Aufrichten der Statuen) ergeben sich aber aus der mündlichen Überlieferung der Inselbewohner selbst, aus den Statuen, die in allen Bearbeitungsstadien in den Steinbrüchen stehen geblieben sind, und aus Experimenten, die man in jüngster Zeit mit verschiedenen Transportmethoden durchgeführt hat.
Im Steinbruch von Rano Raraku sieht man unfertige Statuen, die noch mit dem Muttergestein verbunden und von engen, nur etwa 60 Zentimeter breiten Gängen umgeben sind. Auch die Basaltpickel, mit denen die Steinmetzen arbeiteten, befinden sich noch in dem Steinbruch. Die am wenigsten bearbeiteten Statuen bestehen nur aus einem Steinblock, der mit dem späteren Gesicht nach oben grob aus dem Felsen gehauen wurde, wobei der Rücken noch über einen langen Sockel mit dem darunter liegenden Gestein verbunden ist. Als Nächstes wurden Kopf, Nase und Ohren aus dem Stein gehauen, gefolgt von Armen, Händen und Lendentuch. In diesem Stadium wurde dann auch der Sockel durchtrennt, der den Rücken der Statue noch mit dem Untergrund verband, und man begann, die Statue aus ihrer Nische heraus zu bewegen. Bei allen Statuen, die sich in diesem Transportstadium befinden, fehlen noch die Augenhöhlen - diese wurden offensichtlich erst dann herausgehauen, wenn man die Statue auf dem ahu aufgestellt hatte. Eine der interessantesten Entdeckungen im Zusammenhang mit den Statuen machten Sonia Haoa und Sergio Rapu Haoa im Jahr 1979: Sie fanden im Boden nicht weit von einem ahu ein einzelnes, vollständiges Auge aus weißer Koralle mit einer Pupille aus Rotschlacke. In der Folgezeit konnte man auch Bruchstücke weiterer, ähnlicher Augen ausgraben. Setzt man sie in eine Statue ein, verleihen sie dieser einen durchdringenden, Ehrfurcht gebietenden Blick. Aus der geringen Zahl der geborgenen Augen kann man schließen, dass tatsächlich nur wenige Exemplare hergestellt wurden, die in der Obhut der Priester blieben und nur für besondere Zeremonien in die Augenhöhlen eingesetzt wurden.
Die heute noch sichtbaren Straßen, auf denen die Statuen aus den Steinbrüchen abtransportiert wurden, folgen den Höhenlinien; auf diese Weise ersparte man sich die zusätzliche Arbeit, die riesigen Blöcke bergauf und bergab zu schleppen. Der Weg von Ranu Raraku bis zu dem am weitesten entfernten ahu an der Westküste ist mehr als 15 Kilometer lang. Ein solcher Transport mag uns schrecklich schwierig erscheinen, aber wir wissen, dass auch viele andere prähistorische Völker sehr schwere Steine über große Strecken bewegten, beispielsweise in Stonehenge, bei den ägyptischen Pyramiden, in Teotihuacan und in den Zentren der Inkas und Olmeken. In allen diesen Fällen kann man Rückschlüsse über die jeweils verwendeten Methoden ziehen. Wissenschaftler unserer Zeit haben ihre verschiedenen Theorien über den Transport der Statuen auf der Osterinsel überprüft, indem sie solche Statuen tatsächlich transportierten. Als Erster tat dies Thor Heyerdahl, aber seine Theorie war vermutlich falsch: Die Statue, mit der er es versuchte, wurde während des Transports beschädigt. In späteren Versuchen wurden die Statuen stehend oder
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