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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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chilenischen Fluggesellschaft aus Santiago und Tahiti auf der Insel landen. Sie bringen Besucher (wie Barry Rolett und mich), die von den berühmten Statuen fasziniert sind.
    Schon bei einem kurzen Besuch wird deutlich, dass es immer noch Spannungen zwischen den Inselbewohnern und den Festlandchilenen gibt, die heute ungefähr zu gleichen Teilen auf der Insel leben.
    Das berühmte Rongo-Rongo-Schriftsystem der Osterinsel wurde zweifellos von den Bewohnern erfunden, aber es wurde 1864 erstmals von dem dort ansässigen katholischen Missionar erwähnt; aus früherer Zeit gibt es für seine Existenz keine Belege. Alle 25 heute noch erhaltenen beschrifteten Gegenstände stammen anscheinend aus der Zeit nach den ersten Kontakten mit Europäern; in manchen Fällen handelt es sich um Stücke fremder Holzarten oder um europäische Ruder, und einige fertigten die Inselbewohner möglicherweise gezielt an, um sie den Vertretern des katholischen Bischofs zu verkaufen, der sich für die Schrift interessierte und nach Beispielen suchte. Im Jahr 1995 gab der Sprachforscher Steven Fischer bekannt, er habe Rongo-Rongo-Texte als Fruchtbarkeitszauber entziffert, aber andere Fachleute haben Zweifel an seiner Interpretation. Die meisten Experten für die Osterinsel, unter ihnen auch Fischer, sind mittlerweile zu dem Schluss gelangt, dass die Inselbewohner die Anregung zur Erfindung des Rongo-Rongo während der Landung der Spanier im Jahr 1770 erhielten, als sie erstmals mit einer Schrift in Berührung kamen, vielleicht aber auch erst nach dem Trauma des peruanischen Sklavenhändlerüberfalls 1862/63, bei dem so viele Träger der mündlichen Überlieferung ums Leben kamen.
    Diese Vergangenheit voller Ausbeutung und Unterdrückung dürfte einer der Gründe sein, warum Inselbewohner und Wissenschaftler trotz der detaillierten Belege, die ich hier zusammenfassend dargestellt habe, bis heute meist nur widerwillig einräumen, dass es vor Roggeveens Besuch im Jahr 1722 bereits zu selbst verschuldeten Umweltschäden kam. Im Wesentlichen sagen die Inselbewohner: »So etwas hätten unsere Vorfahren niemals getan.« Die Wissenschaftler dagegen erklären häufig: »Diese netten Menschen, die wir so lieb gewonnen haben, hätten so etwas niemals getan.« Michel Orliac schrieb beispielsweise in einem ähnlichen Zusammenhang über Umweltveränderungen in Tahiti: »... Es ist mindestens ebenso wahrscheinlich - wenn nicht sogar noch wahrscheinlicher -, dass die Veränderungen der Umwelt nicht auf die Tätigkeit der Menschen, sondern auf natürliche Ursachen zurückgehen. Diese Frage ist heftig umstritten (McFadgen 1985; Grant 1985; McGlone 1989), und ich behaupte nicht, ich hätte dafür eine eindeutige Lösung, auch wenn meine Zuneigung zu den Polynesiern mich veranlasst, die Schäden der Umwelt mit natürlichen Ursachen [zum Beispiel Wirbelstürme] zu erklären.« Im Einzelnen gibt es drei gezielte Einwände oder Alternativtheorien.
    Erstens wurde die Vermutung geäußert, für das von Roggeveen 1722 beobachtete Fehlen der Wälder seien nicht die isoliert lebenden Inselbewohner verantwortlich, sondern es sei die Folge einer nicht genauer definierten Störung, die durch unbekannte europäische Besucher bereits vor Roggeveen verursacht wurde. Dass solche Besuche, über die es keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt, stattgefunden haben, ist durchaus denkbar: Im 16. und 17. Jahrhundert segelten viele spanische Galeonen über den Pazifik, und das freundliche, furchtlose, neugierige Verhalten der Inselbewohner gegenüber Roggeveen lässt durchaus auf früheren Erfahrungen mit Europäern schließen; von Menschen, die in völliger Abgeschiedenheit lebten und sich selbst für die einzigen Menschen der Welt hielten, hätte man eine viel erschrockenere Reaktion erwartet. Über einen solchen Besuch vor 1722 ist aber nichts bekannt, und es ist auch nicht zu erkennen, wie er zur Waldzerstörung geführt haben soll. Dagegen spricht eine Fülle von Indizien dafür, dass Menschen bereits in die Umwelt der Osterinsel eingriffen, bevor Magellan 1521 als erster Europäer den Pazifik überquerte: Alle Landvögel waren bereits ausgestorben, Delphine und Thunfische waren vom Speisezettel verschwunden, die Menge des Baumpollens nimmt in Flenleys Sedimentbohrkernen bereits vor 1300 ab, auf der Poike-Halbinsel gab es um 1400 keinen Wald mehr, die Radiokarbondatierung weist nach 1500 keine Palmennüsse mehr nach, und so weiter.
    Ein zweiter Einwand lautet: Der Wald könnte auch

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