Kollaps
untersuchten, gehört sie zu den flacheren und kleineren. Diese acht Variablen machen die Osterinsel besonders anfällig für den Waldverlust. Die Vulkane der Insel haben mit vermutlich 200 000 bis 600 000 Jahren ein mittleres Alter; die Poike-Halbinsel, die den ältesten Vulkan darstellt, verlor ihren Wald als Erste und leidet heute unter der schlimmsten Bodenerosion. Als Barry und ich in unserem statistischen Modell die Effekte aller Variablen zusammenrechneten, konnten wir voraussagen, dass die Osterinsel, Nihoa und Necker unter allen Pazifikinseln am stärksten entwaldet sein müssten. Dies stimmt mit den Tatsachen überein: Auf Nihoa und Necker lebte am Ende kein einziger Mensch mehr, und nur eine einzige Baumart, die Nihoa-Palme, blieb übrig; auf der Osterinsel gab es schließlich keinerlei Bäume mehr, und etwa 90 Prozent der früheren Bevölkerung waren verschwunden.
Kurz gesagt, kam es auf der Osterinsel nicht deshalb zu dem ungewöhnlich starken Waldverlust, weil die offenkundig so freundlichen Menschen besonders schlecht oder unvorsichtig gewesen wären. Sie hatten vielmehr das Pech, dass sie unter allen Völkern des Pazifikraumes in der empfindlichsten Umwelt lebten, die das größte Risiko des Waldverlustes barg. Im Fall der Osterinsel können wir genauer als für alle anderen in diesem Buch beschriebenen Gesellschaften detailliert die Faktoren benennen, die ihre Umwelt so empfindlich machen.
Wegen ihrer isolierten Lage ist die Osterinsel das eindeutigste Beispiel für eine Gesellschaft, die sich durch übermäßige Ausbeutung ihrer eigenen Ressourcen selbst zerstört hat. Wenn wir zu unserer Liste mit den fünf Faktoren zurückkehren, die man in Zusammenhang mit einem ökologischen Zusammenbruch berücksichtigen muss, so spielten zwei davon - Angriffe durch feindliche Nachbargesellschaften und Verlust der Unterstützung durch freundliche Nachbarn - hier keine Rolle: Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass die Gesellschaft der Osterinsel nach ihrer Gründung irgendwelche Feinde oder Freunde hatte. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass später noch irgendwelche Kanus ankamen, können solche Kontakte nicht so umfangreich gewesen sein, dass sie entweder gefährliche Angriffe oder nennenswerte Unterstützung darstellten. Auch für Einwirkungen eines dritten Faktors, der Klimaveränderung, haben wir derzeit keine Belege, solche könnten sich aber in Zukunft noch ergeben. Damit bleiben für den Zusammenbruch auf der Osterinsel nur zwei Hauptursachenkomplexe übrig: einerseits ökologische Eingriffe des Menschen, insbesondere die Abholzung der Wälder und die Vernichtung der Vogelbestände, und andererseits die politischen, sozialen und religiösen Motive hinter diesen Eingriffen, beispielsweise die abgeschiedene Lage und damit verbundene Unmöglichkeit, sich den Verhältnissen durch Auswanderung zu entziehen, die bereits erörterte Fixierung auf den Bau von Statuen, und die Konkurrenz zwischen Sippen und Häuptlingen als Beweggrund für den Bau immer größerer Statuen, der immer mehr Holz, Seile und Lebensmittel erforderte.
Die isolierte Lage der Osterinsel ist vermutlich auch der Grund, warum dieser Zusammenbruch meinen Lesern und Studenten mehr zu schaffen macht als der jeder anderen vorindustriellen Gesellschaft. Die Parallelen zwischen der Osterinsel und der ganzen heutigen Welt liegen beängstigend klar auf der Hand. Durch Globalisierung, internationalen Handel, Flugverkehr und Internet teilen sich heute alle Staaten der Erde die Ressourcen, und alle beeinflussen einander genau wie die zwölf Sippen auf der Osterinsel. Die Osterinsel war im Pazifik ebenso isoliert wie die Erde im Weltraum. Wenn ihre Bewohner in Schwierigkeiten gerieten, konnten sie nirgendwohin flüchten, und sie konnten niemanden um Hilfe bitten; ebenso können wir modernen Erdbewohner nirgendwo Unterschlupf finden, wenn unsere Probleme zunehmen. Aus diesen Gründen erkennen viele Menschen im Zusammenbruch der Osterinselgesellschaft eine Metapher, ein schlimmstmögliches Szenario für das, was uns selbst in Zukunft vielleicht noch bevorsteht.
Natürlich hinkt die Metapher. Unsere heutige Situation unterscheidet sich in vielen wichtigen Aspekten von der Lage, in der sich die Bewohner der Osterinsel im 17. Jahrhundert befanden. Einige dieser Unterschiede machen die Gefahr für uns noch größer: Wenn es beispielsweise nur einiger tausend Menschen mit Steinwerkzeugen und Muskelkraft bedurfte, um ihre Umwelt und damit auch ihre
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